Edition Pleroma
Bücher für den geistigen Weg
- Symbolik der Mysterienbünde
- Bruderschaft R.C.
- Christian Rosenkreuz
- Die Rosenkreuzer von Westmour Castle
- Heilige Hochzeit
- Gnosis, Gral & R.C.
- Jakob Böhme
- Heiligtum der Welt
- Jenseitskunde
- Barabbas, Barabbas!
- Platon, Band I
- Platon, Band II
- Die Goldenen Verse des Pythagoras
- Paracelsus
- Der Plan Gottes
- Tarot – 22 Stufen der Einweihung
- Astrologie als Therapie
- Morgenrot über Christianopolis
- Die Botschaft der alten Rosenkreuzer
Neuauflage eines romantischen Klassikers von 1961
Das mystische Leben des Jakob Böhme
Biografischer Roman
von Franz Spunda
Edition Pleroma
ISBN 978-3-939647-03-4
256 Seiten, Hardcover, € 27,00
Wir müssen unsere Imagination wieder in die himmlische Sophia bringen, dann wird die Lilie in unserer Seele erblühen.
(Jakob Böhme)
Die umfangreiche und inspirierende Hinterlassenschaft von Dr. Franz Spunda (1890-1963) drängte zur Neuauflage in einer Zeit, in der Mystik nicht mehr allein im erkennenden Herzen gesucht wird, sondern in der Sensationslust. Spundas Romane und Biografien destillieren Wahrheit und Größe noch unmittelbar aus dem numinosen Geheimnis. Sein Werk „Das mystische Leben des Jakob Böhme“ beleuchtet den gehbaren Weg in die Nähe Gottes.
Als Leser folgen wir dem Philosophus Teutonicus in die stete Entfaltung seiner umfangreichen Einsicht in den Schöpfungsplan. Wer zu den Schriften des ungewöhnlichen Schustermeisters aus Görlitz bislang wenig Zugang fand, wird hier zu seinem Gefährten, spiegelt sich in ihm und verspürt ebenso den innigen Wunsch nach einer geistigen Erneuerung seiner Seele unter dem Signum des Rosenkreuzes. Eingebunden in den sogenannten Tübinger Kreis fand Böhme jene Brüderlichkeit, die den engen Radius irdischer Lebensziele in das Himmlische ausweitete. Durch Verklärung erfassend, dass nur die Finsternis der Träger des Lichtes sein kann, ertrug er demütig Entbehrung, Feindschaft und Verleumdung in seinem äußeren Dasein, ermöglichte jedoch dem Himmel, ihn in verborgenen Kammern mit Glanz zu übergießen. Das folgende Zitat von Franz Spunda gibt die einprägsamen Worte eines mysteriösen Fremden an den jungen Jakob Böhme wieder und enthält schon den Samen all dessen, was dieser im Laufe seines Lebens zum Ausdruck bringen soll.
Jakob, noch bist du klein, aber du wirst groß und ein ganz anderer Mensch und Mann werden, dass sich die Welt über dich verwundern wird. Darum sei fromm, fürchte Gott und ehre sein Wort! In Sonderheit lies gerne in Heiliger Schrift, darinnen du Trost und Unterweisung hast. Denn du wirst viel Not, Armut und Verfolgung erleiden, aber sei getrost und bleibe beständig, denn du bist Gott lieb und er ist dir gnädig.
Über den Autor:
Dr. Franz Spunda (1890-1963) gehört mit Gustav Meyrink, Karl Hans Strobl, Alfred Kubin und Leo Perutz zu der Gruppe österreichischer Schriftsteller, die seit dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ihre Leser bis zum heutigen Tage mit mystischen und fantastischen Romanen begeistern.
Vorwort
Der himmlische Magnetstein senkte sich auf Jakob Böhme (1575-1624) herab, erwies ihm die Gnadenwahl und zog ihn in Bereiche lebendiger Weisheit und Gottesnähe. Niemand kommt zu Gott – es sei denn, Er ziehe ihn! Diese Kernaussage rosenkreuzerischer Mystik bezieht sich auf die Reife einer Seelenperson und nahm im Leben des Jakob Böhme beizeiten Gestalt an. Der Schicksalslauf brachte ihn mit Lehrern, Freunden und Geistesbrüdern in Berührung, die ihm genügend Inspiration gaben, so dass er sich in seiner angeborenen Sehnsucht nach Erkenntnis nicht im Stich gelassen fühlte, aber dennoch zeitlebens ein flehentlich Suchender blieb. Wie es der mystische Weg vorschreibt, kam Böhme nicht endgültig zum Ziel, denn ihm tat sich nach jedem äußeren Impuls eine neue Pforte auf, die den Blick auf noch erhabenere Ausdrucksformen des Menschseins freigab.
Gerade rechtzeitig vor seiner Geburt hatte Martin Luther die Bibel aus hebräischen und aramäischen Urtexten unter Zuhilfenahme der Septuaginta und Vulgata in eine glutvolle deutsche Sprache übersetzt. Dies kam Jakob als Kind zugute, sein Lesehunger fand hier beste Nahrung. In seinem dörflichen Umfeld fehlte nämlich die große Bibliothek, nach der es ihn verlangte, er vermisste einen Vater, der ihm den Horizont des Denkens zu erschließen vermochte, er besaß auch keinen Hauslehrer, der ihn Latein hätte lehren können. So konnte er die deutsche Bibel bald auswendig, weil er bei der Genesis wieder begann, wenn er nach den patmischen Briefen des Johannes das Buch hätte beiseite legen können. Als er in seiner Jugend die Lehre des Augustinus streifte, erschrak er noch vor der Wunderwelt des Geistes, in die er als Erwachsener so intensiv eintreten sollte.
Böhmes Zeitqualität war geprägt von jener inwendig religiösen Verwirrung, die durch Luther, Calvin und Zwingli Gestalt angenommen hatte. Der Grundgedanke der Reformation (lat. reformatio-Rückformung) lag ursprünglich in einer Rückbesinnung auf das Urchristliche, auf die Lehre Christi ohne klerikale Machtausübung. Aber der damals heftig wütende Sturmwind der Menschheitsgeschichte nahm davon Besitz und brachte Welt und Religion gründlich durcheinander. Viele Menschen waren erkrankt an der zu eng gefassten Mutterschaft der katholischen Kirche, sie drohten zu ersticken in der Obhut von Regeln und Verboten. Also wandten sie sich ab von den Brückenbauern in kostbaren Roben, wollten nicht mehr glauben, sondern wissen und suchten nach einer direkten Anbindung an das Numinose. Zwischen Naturwissenschaft und Religion aufgewühlt hin und her schwankend entstanden unzählige Gruppierungen, die das Religiöse nicht mehr nur der Kirche überlassen wollten, sondern ihre Aufgabe darin sahen, selbst Erklärungen zu finden, selbst zu verstehen, was Gott und Mensch verbindet. Als Mitträger des Reformationsgedankens gelangten fromme Schwenckfelder, kluge Wiedertäufer, verschwiegene Böhmische Brüdergemeinden und begabte Laienprediger in Aufbruchsfieber und vermehrten rasch ihre Scharen. Diese Bewegungen des Lichtes warfen natürlich auch Schatten. Vor einem nahenden Weltuntergang fürchteten sich die einen, um eine baldige Erlösung von der Erde beteten die anderen. Auch der junge Jakob sah sich zwischen erstarrte Heiligkeit und hemmungslose Aufsplitterung gestellt. Darum schlich er sich zu einem Stollen im Bergwerk, wurde dort nach Prüfung seiner Gesinnung für lauter gehalten und fand Einlass. Sein Gewährsmann nannte für ihn vor einem Torhüter das Passwort, und staunend schritt er in eine weiträumige unterirdische Halle, in der sich jeden zweiten Sonntag die sogenannten Brüder der deutschen Zunge versammelten. Jakob fühlte sich anfänglich heimisch im Orden der Böhmischen Brüder. Gegründet hatte man diese Vereinigung, um wieder in Harmonie zu kommen inmitten von erbitterten Religionskämpfen. Das Bestreben lag darin, wieder einzukehren in den wahren Sinn urchristlicher Seelengemeinschaft, wie diese von dem Orden der Essener gepflegt worden war – voller Wunder, mit großem Heil und seligem Frieden. Tatsächlich genoss Jakob eine Weile jene ruhige Feierlichkeit, die seinem innersten Wesen entsprach. Aber mit der Zeit erschien ihm die Lehre vom vollendeten Gutseinmüssen der Brüdergemeinde zu einfältig, denn er hatte die Finsternis als notwendigen Träger des Lichtes erkannt, sah auch in sich selbst Abgründe, die er nicht bereit war zu leugnen. Fest glaubte er daran, an des Teufels Hörnern ebenso Anteil zu haben wie an dem Segen des Himmels. Er formulierte dies später so: Die Lichtwelt ist in der Finsternis verborgen, und die finstere Welt in der Lichtwelt. So wohnt eines im anderen und weiß nichts vom anderen, denn es kehrt eines dem anderen den Rücken und sieht nicht des anderen Angesicht. Darum zog es ihn weiter, und er tauchte ein in die verborgenen Geistesströmungen, wo sich Erkenntnis nicht mehr mit der bequemen Lüge einließ, sondern mit der anstrengenden Wahrheit verbrüderte.
Später, als Jakob Böhme selbst eine Schusterwerkstatt besaß, brachte ihn die Fügung mit dem legendären Tübinger Kreis in Verbindung, und er genoss einen intensiven geistigen Austausch. Der Schuster aus Görlitz verblüffte die Gelehrten, die nicht selten mehr als fünf Fakultäten an der Universität absolviert hatten, denn sein erstes Werk „Aurora oder die Morgenröte im Aufgang“, enthielt pansophische Zeugnisse, die auch antike Philosophen begeistert hätten. Es war, als legte Sophia, die gnostische Weisheit, ihren Sternenmantel schützend um Bruder Jakobs Schultern, so dass er sich der Weisheit immer nahe fühlte. Jenseits aller Sichtbarkeit wusste er sich in der Gnade des Berufenen. Böhme verhielt sich im Alltag fügsam wie ein Lamm, aber weder Entbehrungen noch Verleumdungen oder Krankheit minderten seine Weisheit und Gottesliebe.
Mit 49 Jahren war seine mystische Rose voll erblüht, und er starb in Frieden, denn die letzten beiden Lebensjahre waren Wunscherfüllungs- und Schaffensjahre: Er schrieb und schrieb und schrieb! Viel hatte er erfahren, mitten in das Mysterium magnum geschaut, und er war mit dem Traum von einem Herrscher in Berührung gekommen, der im Signum des Rosenkreuzes die ganze Welt erneuern sollte. Jakob Böhme wusste mit Johann Valentin Andreae und vielen anderen, dass dieser ersehnte Rosenkreuzer-Kaiser eigentlich schon angekommen war, nur saß dieser auf keinem Thron, führte keine Kämpfe, triumphierte nicht über seine Feinde, sondern hielt sich im Herzen eines jeden Menschen bereit, dort feierlich inthronisiert zu werden. Im äußeren Trubel der Reformation waren Kult und Weihe für viele Gläubige nur noch ehrwürdiges Andenken an vergangene Historie geworden. Unter dem Zeichen der erblühten Rose am Kreuz schritt das erfahrbare Geheimnis aus der Antike in die lebendige Gegenwart. Dieses Geheimnis bleibt für alle Zeiten gegenwärtig für Jene, deren Seele danach strebt.
Gabriele Quinque
Leseprobe:
(...) Als Jakob allein war und das Singen der Abwärtssteigenden verhallte, übermannte ihn namenlose Trauer, und Tränen brannten in seinen Augen. Aber tapfer zwang er sie zurück und schritt beherzt der ungewissen Zukunft entgegen, die Hand an den Degenknauf gepresst. Weit und breit war niemand zu sehen. Erst nach drei Stunden gelangte er in eine Köhlerhütte, in der er Zuflucht vor einem ausbrechenden Regenguss suchte. Er wunderte sich, jetzt, da er im Böhmischen war, dass die Leute genauso wie in seiner Heimat sprachen. »Also nach Prag willst du gehen? Da wirst du die Augen aufmachen. Gib nur Acht, dass du nicht in den ärgsten Wirbel hineinkommst!« Damit deutete er auf politische Wirren. Genaueres sagte der Köhler nicht.
Am übernächsten Tag trat Jakob in die Gesellenherberge von Reichenberg ein. In dieser Stadt hätte er leicht Arbeit finden können, aber es drängte ihn in die Kaiserstadt. Sobald er das bergige Land hinter sich hatte, bei Melnik, hörte er zum ersten Mal böhmische Worte an sein Ohr dringen. Da krampfte sich sein Herz vor Bangigkeit zusammen. Jetzt war er wirklich in der Fremde unter anderen Menschen. Hier betrat er auch zum ersten Mal ein katholisches Gotteshaus. Die vielen vergoldeten Heiligenstatuen, die bunten Fenster, das Brausen der Orgel und das Jubilieren von Geigen und Zinken beim Hochamt am Sonntag betäubten ihn fast. Pastor Ambrus hatte seinerzeit den Kindern von der papistischen Abgötterei erzählt und ihnen den Abscheu davor eingepflanzt, aber was er jetzt erlebte, erfüllte ihn mit Wonne: ein freudiges Jubilieren und Lobpreisen mit allen Sinnen. Betreten wanderte er aus der Stadt ins Freie. Da sah er auf den Feldern ein fremdartiges Gewächs, den Weinstock, dessen Reben in der Herbstsonne glühten. Er naschte einige Beeren, wurde aber sogleich von dem Flurhüter mit Steinwürfen vertrieben.
An der großen Brücke bei Raudnitz verlangte man von ihm den Zoll. Er gab seine zwei Prager Heller her und erhielt dafür noch einen Batzen zurück. Das Sündengeld sollte ihn nicht weiter beschweren! Er sah sich um, aber es war kein Bettler in der Nähe. Ein steinerner Heiliger stand vor ihm, Johannes von Nepomuk. Kurz entschlossen warf Jakob den Batzen in den Opferstock.
Böhme kam durch das Kleinseitner Tor am Eingang der Karlsbrücke nach Prag. Es zog gerade der Oberburggraf mit großem Gefolge zur Audienz auf den Hradschin. Böhme musste sich eng an das Brückengeländer pressen, um nicht von der sich dahinwälzenden Menschenwoge mitgerissen zu werden.
Mit Mühe fragte er sich zu seiner Herberge in der Nekazanka durch. Da war er endlich wieder bei deutschen Brüdern. Der Herbergsvater prüfte genau seinen Lehrbrief und führte ihn dann zu einem Meister in der Zeltnergasse. Dieser stellte für den Adel feine Korduanschuhe her, wie sie damals Mode waren. Davon verstand der Lausitzer nichts. In der Brenntegasse hatte er auch nicht viel Glück. Meister Melmrich hätte ihn gern aufgenommen, aber er hatte von der Innung nur das Recht auf drei Gesellen. Böhme wäre der vierte gewesen; doch ohne in der Innungsliste geführt zu werden, wollte er nicht arbeiten.
Erst bei dem dritten Meister fand Böhme Einstand, bei Theobald Kraft in den Königlichen Weinbergen. Kraft war im Gegensatz zu seinem Namen ein schwächliches Männchen, dessen Werkstatt vornehmlich Frauenschuhe verfertigte. Er war verwitwet; da gab es also keine Meisterin, die mit den Gesellen herumkeppelte.
Böhme packte seinen Ranzen in der Kammer aus, die er mit einem böhmischen Lehrling namens Ondrej teilen musste. Dieser war ein aufgeweckter Bursche, der einige Worte deutsch verstand; ein frommer Katholik, der über seiner Bettstatt einen Rosenkranz, einen Weihwasserkessel und ein Skapulier aufgehängt hatte. Als er dem Fremden bedeutete, auch seinen Winkel zu zieren, holte Jakob das Johannesbildchen der Barinkova hervor und befestigte es mit einem Nagel an der Wand.
Böhme musste das Handwerk völlig umlernen. In Seidenberg wurde nur derbes und schweres Schuhzeug verlangt, das jahrelang halten musste. In Prag kam es nur auf das gefällige Äußere an; es machte nichts, wenn die Schuhe nach einigen Monaten abgetragen waren. Dann kaufte man eben neue. Hier hatte jedermann Geld, ein Feilschen kannte man kaum, wohl aber das Schuldenmachen, bei dem der Meister oft das Nachsehen hatte.
Meister Kraft arbeitete gerade für den kaiserlichen Leibarzt Thaddäus Hayek bei der Teynkirche, von dem er die neuesten Nachrichten heimbrachte. Die Majestät ist übelgelaunt, weil Mars in Opposition zum Maleficus steht. Niemand wird zur Audienz vorgelassen. Böhme verstand nichts davon. Sein Bestreben ging dahin, in Verbindung mit den Böhmischen Brüdern zu kommen, von denen ihm sein Lehrer Hanke so viel erzählt hatte. Ondrej durfte davon nichts wissen, weil dieser Geheimorden vom Kaiser verboten worden war. Böhme vertraute darauf, dass ihn die Vorsehung auf die Spur führen werde, und schlich an Sonntagen durch alle Gässchen der Altstadt, wo sich die Bethäuser der einzelnen Sekten befanden.
Einmal fasste er sich ein Herz und ging durch das Pförtchen in ein finsteres Haus hinter dem Klarissinnenkloster. Er hatte in Erfahrung gebracht, dass dort die Gemeinde der Zwinglianer, Schweizer, dort ihre Zusammenkünfte hatte. Sie betrachteten den Eindringling argwöhnisch. Ein Aldermann fragte ihn aus, und Böhme gestand offenherzig, wohin er strebte. Weil man von der Lauterkeit seines Wesens überzeugt war, machte man sich erbötig, ihn in den ersehnten Kreis einzuführen.
Es ging schon gegen den Winter, als ein Schweizer ihn an einem Sonntag abholte. Sie verließen die Stadt und wanderten die Moldau abwärts bis zum Kuchelbad. Außer den Badhäusern standen hier nur einige Hütten, meist gegen den Hügel gelehnt. Sie gingen auf eine zu und klopften an. Der Schweizer nannte das Passwort, und sie traten ein. Die Hütte war nur ein Vorbau, der den Eingang zu einem Stollen abdeckte. Ein Wärter entzündete eine Laterne und ging ins Dunkle voran. Der Stollen des aufgelassenen Bergwerks führte in eine geräumige Halle, die von einigen Hängelampen beleuchtet war. In ihrem trüben Schein gewahrte man die Versammelten, denen ein Alter von einem erhöhten Platz aus predigte. Böhme verstand kein Wort; es war böhmisch. Als der Prediger geendet hatte, wurde ihm der Fremde vorgestellt, der ihm von seinem Lehrer Hanke erzählte und den Wunsch aussprach, in die Gemeinde aufgenommen zu werden.
Bruder Viteslav, wie sich der Prediger nannte, verstand gut deutsch und versprach, sich seiner anzunehmen. Nachdem er ihn aus der Passionsgeschichte geprüft hatte, sagte er ihm: »Jeden zweiten Sonntag kommen hier die Brüder deutscher Zunge zusammen. Ich glaube, du wirst bei ihnen heimisch werden.«
Nun hatte Jakob ein geistiges Heim gefunden, und von ihm wich die Beklemmnis der Fremde. Die politischen Flunkereien des Meisters Kraft und die katholischen Wundererzählungen Ondrejs interessierten ihn von nun an nicht mehr. Er wusste jetzt, worauf es ankam.
Der Orden der Böhmischen Brüder war aus dem Bedürfnis nach dem wahren Christentum der Liebe und Milde entstanden, das durch den erbitterten Kampf zwischen Katholiken und Protestanten in Verfall geraten war. Die wiedererweckte altchristliche Seelengemeinschaft führte auch zu einer Gemeinschaft der irdischen Güter, die brüderlich geteilt wurden. Ein jeder stand für den anderen ein. Es gab keine Priester, ein jeder suchte den Weg zu Gott auf seine eigene Art. Keine Zeremonien, keine Gebote, keine Geheimnisse.
Jakob erschauerte: Nichts war da als das eigene bedrängte Herz vor Gott. Wie sollte dieses sich mit dem Allerhöchsten vereinigen? Im Luthertum, welche starke Stütze ist doch das Wort der Heiligen Schrift! Bruder Melchior, der Prediger der deutschen Gruppe, war ein Siebmacher aus Smichow. Zu ihm hatte es Böhme aus seiner Werkstatt nicht weit. Also trafen sie sich fast täglich zu erbaulichen Gesprächen. Immer wieder bohrte in Jakob die Frage, die ihn seit seiner Kindheit bedrängte: Woher kommt das Böse?
Bruder Melchior ließ sie nicht gelten und wich aus: »Es gibt nichts wirklich Böses. Was uns als Böses erscheint, ist von Gott aus gesehen eine Erweckung des Guten.«
Der Bruder hatte in der Tat die Natur eines Lammes oder einer Taube, er konnte vielleicht nicht anders erkennen. Aber Jakob fühlte in sich einen Sündenpfuhl von Bosheit brennen, und er hielt sich jeder Schandtat fähig. Es kostete ihn einen täglichen Kampf, die Sündenflammen zurückzudrängen, damit sie ihn nicht verzehrten. Die Nähe des himmlisch Reinen wirkte besänftigend auf ihn und steigerte in ihm den Wunsch, auch so zu werden wie er.
Die beiden Freunde besuchten gemeinsam die Kirchen der Stadt. Im Veitsdom erzählte ihm Melchior von dem Gründer dieses Gotteshauses, von dem Kaiser Karl IV, und sie beteten in Andacht vor dessen Sarkophag in der Krypta.
Auf der Kleinseite besuchten sie das wundertätige Prager Jesulein. »Du glaubst an Wunder?« fragte Jakob seinen Begleiter. »Es gibt viele auffällige Gebetserhörungen, aber nur ein einziges wirkliches Wunder«, sagte dieser. Er wollte nicht so recht mit der Sprache heraus, also ob es sich um ein Geheimnis handelte, zu dem er allein die Schlüssel besäße. Aber aus den Predigten im Kuchelbad konnte Jakob erraten, worum es sich handelte, und er sprach das Mysterium aus: die Wiedergeburt in Christo. Melchior darauf: »So ist es. Wie es dem Saulus vor Damaskus geschah, muss ein göttlicher Blitzstrahl die Seele plötzlich durchflammen und alles Niedrige verzehren, damit nur das reine Gold der Gottesschau übrig bleibe. Dies ist das einzige Wunder, das über alle Begriffe hinausgeht. Dem Einen wird es zuteil, dem Andern nicht, so sehr er darum ringt. Es hängt allein von der Gnade des Himmels ab. Doch jeder soll darum ringen, als ob er die Gewissheit hätte, dass Gott ihn erleuchten und verklären werde.
Unter den Brüdern im Kuchelbad war kein Einziger, der durch diesen wunderbaren Feuerstrahl auferweckt und wiedergeboren wurde. Jedoch einer von ihnen, der Tischler Jiskra, kannte einen von Gott also Verwandelten, den Schafhirten Honsa aus Pilgrams, bei dem er einmal den Sommer verbracht hatte. Er schilderte dessen einfachen Sinn und Gottesliebe in Erzählungen, die sich wie Legenden anhörten, und doch war er ein Mensch aus unserer Zeit. Erst in diesem Jahr war er im Herrn entschlafen. »O dass ich doch einmal in die Nähe eines solchen Gotterleuchteten käme!« seufzte Böhme.
Vielleicht war die Barinkowa eine von ihnen, und er war damals vor zehn Jahren noch zu dumm, dies zu verstehen. Er erzählte den Brüdern von ihr und zeigte ihnen ihr Johannesbild. Ein Alter erinnerte sich ihrer und sprach: »Sie stand einmal vor dem Ketzergericht und wurde auf wunderbare Weise gerettet«. Genaueres wusste er nicht.
Böhme glaubte, dass dem Bild eine geheime Kraft entströme, eine Wärme, die ihn beseligte. Er scheute sich nicht, vor ihm seine Andacht zu verrichten, wie es sein katholischer Stubengefährte tat.
Eines Abends schickte ihm Melchior einen warnenden Zettel: »Die Jesuiten sind uns auf der Spur, wir dürfen nicht mehr nach Kuchelbad, wo sie uns auflauern. Der Beichtvater des Kaisers, Pater Lorenzo, hat solange auf ihn eingeredet, dass er seine Einwilligung zur Verfolgung aller Nichtkatholiken gab. Wir wurden jedoch rechtzeitig gewarnt, dass keiner der Unsrigen seinen Häschern in die Hände fiel.«
Jakob hielt die Zeit für gekommen, seine Wanderschaft fortzusetzen. Er hatte in Prag alles gelernt, was für ihn neu war. Durch seinen Fleiß und seine Sparsamkeit hatte er in acht Monaten elf Gulden erübrigt.
Einige Tage vor seinem Abschied lieferte er im Haus des Leibmedicus Hayek Zierschuhe aus Saffian ab, die ein Gast des Hauses bei Meister Kraft bestellt hatte. Böhme musste warten, denn bei Hayek war große Gesellschaft. Er setzte sich geduldig zum Türhüter, der ihm erzählte: »Ein junger Student liest seine Gedichte vor ‹Schönes Blumenfeld›, und der Doctor Brunus spielt auf der Gamba. Es sind hohe und höchste Herrschaften da.«
Jakob wollte seinen Auftrag rasch erledigen und schlüpfte in den Vorsaal, um dort die bestellten Schuhe abzugeben. Da trat gerade eine Pause ein und einige Gäste kamen ihm entgegen. Unter diesen gewahrte er den Auftraggeber, war aber zu schüchtern, sich ihm zu nähern. Als dieser in seine Nähe kam, winkte er den mit den Saffianschuhen Wartenden heran. Der Fremde, offenbar ein Südländer, nahm sie in Empfang, bezahlte den vereinbarten Preis und händigte dem Gesellen einen Silberzwanziger als Botenlohn ein. Wie Böhme ihm dankbar ins Gesicht schaute, durchzuckte ihn plötzlich ein Gedanke: »Das ist der heilige Johannes vom Bild der Barinkova!«
Doctor Jordanus Brunus bemerkte das jähe Erschrecken des Burschen und fragte: »Was siehst du mich so erstaunt an, Gesell?«
»Verzeiht, Ehrwürdiger. Nur eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einem Bildchen, das mir geschenkt wurde«, stammelte Böhme.
»Meister Giordan!« rief ihn eine Dame zurück, die ihm nachgeeilt war. »Sie im Gespräch mit einem Schusterbuben!« Sie lachte glockenhell auf und ergriff seine Hand, um ihn in den Saal zurückzuführen. »Entschuldigen Sie einen Augenblick!« sagte er zu ihr und sich dann an Jakob wendend: »Das musst du mir erzählen! Von mir gibt es kein Bildnis.« Er nahm ihn bei der Hand und setzte sich mit ihm auf eine Bank des Treppenaufgangs.
Böhme nahm sich ein Herz und erzählte von der böhmischen Einsiedlerin im Iser Urwald, dem Besuch des Herrn Jesus und seines Apostels bei ihr und dem Bild, das sie vom heiligen Johannes gemalt und ihm geschenkt hatte. Als er geendet hatte, sagte der Doctor: »Da hat also die Frau das Konterfei des Heiligen abgemalt, und dieses Gesicht ist das meine. Was will das Schicksal damit andeuten? Wie ist also der heilige Johannes das Bindeglied zwischen dir und mir geworden? Wer bist du Bursche?«
»Ich heiße Jakob Böhme, ein Schustergesell aus dem Lausitzischen. Und ihr seid der Philosoph Jordanus Brunus«.
Da schloss der Italiener die Augen, sann nach und sprach: »Es will mich bedünken, Jakob, dass wir uns in einem früheren Leben schon gesehen haben. Warum führt uns das Schicksal wieder zusammen, was sollten wir jetzt einander sagen?«
»Herr Doctor, ich habe mir zwar vorgenommen, übermorgen weiterzuwandern, doch ich will gern noch einige Zeit dableiben, um Eure Lehre zu hören.«
»Kind, morgen reise ich nach Deutschland zurück, das hier ist das Abschiedsfest mir zu Ehren. Deine wundersame Erzählung, die länger in der Erinnerung leben wird als deine Schuhe, hat mich seltsam berührt. Wie zwei Sterne auf ihrer Bahn, die sich im Nähern grüßen, ziehen wir voneinander, ein jeder von seinem Schicksal gelenkt. Lebe wohl, du reine Johannes-Seele, Jakob Böhme, Schustergeselle aus dem Lausitzischen!«
Am liebsten wäre Böhme geradewegs zurück in die Heimat gewandert, aber der Lehrbrief schrieb ihm eine andere Route vor; auch hatte er dem Nachbarn Benirschke versprochen, seine alte Heimat in Mähren aufzusuchen und Nachricht von dort zurückzubringen. Also ließ er sich von Meister Kraft und von der Innung seinen Prager Aufenthalt bestätigen und strich sich in seinem Wanderbüchlein die Orte an, die er auf seiner Reise berühren wollte. Er nahm Abschied von der Brüdergemeinde beider Zungen. Bruder Melchior übergab ihm versiegelte Schreiben, die er in Kuttenberg, Brandeis an der Adler und Hohenstadt abgeben sollte.
Die Straße nach Kolin war von Reisenden stark befahren. Kaufmannszüge mit zwanzig und mehr Wagen, die von Berittenen beschützt wurden, zogen hochbepackt an ihm vorüber. Böhme schloss sich einem Trupp wandernder Scholaren an; auf sie wartete in Kolin ein Schiff, das sie elbabwärts heim nach Meißen führen sollte. Es war ein lustiges Völkchen, das seine Späße mit dem Handwerksburschen trieb, die dieser aber nicht krumm nahm. Sie sangen lustige Vagantenlieder, in welche Böhme, von ihrer Lustigkeit angesteckt, mit voller Kehle einstimmte. Aus dem stubenblassen Traumichnicht war in einigen Tagen ein backenroter Landfahrer geworden, der unbekümmert in den Tag hineinlebte und den lieben Gott für sich sorgen ließ. Das gesunde Bauernblut seiner Väter war in ihm lebendig geworden. Trotz seiner körperlichen Schwächlichkeit half er tüchtig beim Getreideeinführen aus, wofür er von den Bauern Zehrung und Obdach erhielt. An anderen Tagen ging es weit weniger tugendhaft zu, wenn der eine oder andere der Goliarden mit einer gemausten Ente oder Gans ins Lager zurückkam, die dann am offenen Feuer an Weidenspießen knusprig gebraten wurde. Böhme, dem der gute Duft das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, machte sich kein Gewissen daraus zuzugreifen. Einmal hatten die auf Beute ausgeschickten Schützen eine bauchige Flasche Kornschnaps gestohlen, die nun die Runde machte. Böhme, der dergleichen noch niemals getrunken hatte, tat neugierig einen kräftigen Schluck, der ihm wie Feuer die Kehle verbrannte. Ihm wurde sogleich taumelig zumute, und er wusste nicht, wie ihm war. Für die anderen war es ein großes Hallo, den unwissentlich Berauschten aufzuziehen. Jakob geriet in eine gereizte Stimmung, fuchtelte erregt mit dem Stockdegen herum und forderte einen nach dem andern zum Zweikampf heraus. »Schlaf dich erst aus, Schuster!« sagte einer der Studenten und führte den Benommenen zu einem Heuschober, auf den Jakob der Länge lang hinfiel und sofort einschlief.
Am Morgen erwachte er mit einem beschämenden Ekelgefühl. O Gott, wie tief war er gesunken! Ihm kamen Tränen der Scham und Zerknirschung in die Augen, er fiel auf die Knie und bat Gott um Verzeihung der begangenen schweren Sünde.
Die Scholaren machten sich gerade zum Aufbruch fertig, als er zu ihnen zurückkam. Er bat sie schüchtern um Vergebung des Vorgefallenen, doch sie lachten ihn nur aus. »Du bist das Saufen noch nicht gewöhnt, Schuster. Doch wenn du fleißig übst, wirst du es wie wir zur Meisterschaft bringen. Du musst mit Bier anfangen, nicht mit Schnaps.«
In Kolin, wo sie die Elbe erreichten, zeigten sie es ihm beim Abschiedstrunk, wie er es machen sollte: »Schön langsam anfangen mit kleinen Schlucken und dazwischen Käse oder Rettich essen!«
Hinter Kolin wurden die Wege schlechter. Ein Landregen setzte ein, der Wanderer versank bis über die Knöchel im Kot. Böhme suchte einen Unterschlupf bei dem ersten besten Bauer und erbot sich, beim Dreschen mitzuarbeiten. Man lehnte ihn wegen seiner Schwächlichkeit ab, nachdem man seine Armmuskeln geprüft hatte. Hingegen war er willkommen für das Eintreten von Sauerkraut. Ganze Berge von Sommerkraut lagen bei jedem Haus, in den Scheunen wurde es auf Krauthobeln geschnitten.
Jakob musste sich zuvor die Füße gründlich waschen. Dann hob ihn ein kräftiger Mann in eine mit geschnittenem Kraut vollgefüllte Tonne, und Böhme musste darauf gleichmäßig herumtreten. Zuweilen schöpfte man das ausgepresste Wasser ab, streute Salz, Kümmel und Majoran hinein, und dann ging das Gestampfe wieder los. Bis zum Abend hatte er vier Fässer fertig gemacht. Als er dann todmüde herausgehoben wurde, erhielt er ein ausgiebiges Abendbrot und wurde genötigt zu essen, bis er nicht mehr konnte.
Sobald das Wetter besser wurde, machte er sich weiter auf den Weg nach Kuttenberg. In dieser Stadt wurde nach Silber gegraben. Tausende von Knappen, Hauern und Schmelzmeistern fanden da ihr auskömmliches Brot. Das kostbare Metall wurde aus tiefen weitverzweigten Stollen und Schächten an das Tageslicht gefördert, wo es dann in bienenkorbförmigen Hochöfen verhüttet wurde.
In die Gesellenherberge trat abends ein Werber ein, um die durchreisenden Handwerksburschen zu überreden, ihr Glück als Bergmänner zu versuchen. Er wusste von märchenhaften Schätzen zu erzählen, die dieser und jener gefunden hätte. Da antwortete ihm einer der Gesellen, ein zungenfertiger Schreiner aus Bayern: »Von den vielen Unglücklichen erzählst du nichts, die von einbrechenden Stollen verschüttet oder von trügerischen Berggeistern ins Verderben gelockt wurden?«
Dennoch ließen sich zwei Sattler verleiten, den Werbetaler anzunehmen. Sie hatten tags zuvor alle ihre Ersparnisse beim Würfeln verspielt und wollten jetzt schnell reich werden, denn sie schämten sich, bettelarm heimzukehren.
Böhme fühlte eine unheimliche Beklemmung in sich, denn das Erlebnis in der Schatzhöhle auf der Landeskrone war ihm wieder lebendig geworden. Er hatte Einstand beim erstbesten Meister genommen, nur um gegen die Verführung gefeit zu sein. Bei dem neuen Meister wurden für die Bergknappen Schuhe mit weicher Sohle hergestellt, die ein Klettern über den Schutt erleichterten. Jakobs Mitgesellen wussten viele geheimnisvolle Geschichten von dem Leben unter der Erde zu erzählen, wo der Tod hinter jedem Gesteinsbruch lauerte. Einer von ihnen, Wladimir, besaß eine Sammlung von Silberadern, die er selber gebrochen hatte.
Dass es mit den Erzählungen von überraschend entdeckten Silberklumpen seine Richtigkeit haben musste, bewiesen die vielen prunkhaften Häuser der Stadt, die von reich gewordenen Hauern erbaut worden waren. Alle Bergwerke und Pingen waren zwar Eigentum des Kaiserhauses, jedoch was einer in seiner Freizeit gebrochen hatte, gehörte ihm. Und merkwürdigerweise wurden alle größeren Funde gerade in dieser Zeit gemacht.
Zum Dank für den ihnen zugefallenen Reichtum hatten die Bürger den Bau einer Kirche begonnen, die an Größe alle Kathedralen der Erde übertreffen sollte, zu Ehren der heiligen Barbara, der Schützerin des Bergbaues. Doch nur die Apsis war fertig geworden.
Als Jakob dieses Meisterwerk der Gotik betrat, wähnte er in den Himmel gekommen zu sein. Hunderte von Silberampeln hingen vor dem Altar auf Silberketten, da gab es Leuchter, Säulen, Schreine, alles aus reinstem Silber. Bunte Glasfenster tauchten den Raum in mystisches Dunkel. Die Kirche war leer. Jakob kniete vor dem Altar nieder, schüttete vor Gott sein Herz aus und bat um Vergebung der Sünden, die er in der Gesellschaft der Scholaren begangen hatte. Der Rubinschimmer des Ewigen Lichtes, zu dem er andächtig emporschaute, versetzte ihn in sanfte Entzückung; ihm war so seltsam ums Herz, wie damals in der Waldhütte der Barinkova. Mehr als zehn Jahre waren seitdem vergangen, und doch dünkte ihn, als ob es erst gestern gewesen wäre. Was ist die Zeit?
Eine Antwort auf diese Frage gab ihm die Erzählung von den drei verschütteten Bergleuten von Kuttenberg, von denen ihm Wladimir berichtete. Diese drei überaus gottesfürchtigen Männer wurden einmal von einem einbrechenden Stollen von der Rückkehr an das Tageslicht abgeschnitten. In ihrer Frömmigkeit ergaben sie sich demütig in ihr Geschick, empfahlen ihre Seelen Gott, schraubten ihr Grubenlicht nieder und schliefen ruhig ein. Als sie erwachten, vernahmen sie das dumpfe Hauen von Spitzhacken, und es währte nicht lange, so waren die Retter bei ihnen und führten sie ins Freie. Doch wie hatten sich indessen die Umwelt verändert! Andere Häuser! Wo waren ihre Lieben? Nirgends ein bekanntes Gesicht! Nur dass die Sonne leuchtete wie früher. Man fragte sie aus, wer sie wären, und da stellte es sich heraus, dass sie in Gottes Hut dreihundert Jahre geschlafen hatten. Der Pfarrer schlug im Kirchenbuch nach und las ihre Namen und den Vermerk: vom Berg verschüttet mit der Angabe des Tages und des Jahres. Da fiel einer der drei vor Schreck darüber tot um. Die beiden anderen lebten weiter und beschlossen nach Jahren als Mönche ihr Leben. Die ältesten Leute der Stadt erinnern sich noch ihrer.
Diese Erzählung machte einen überaus starken Eindruck auf Jakob. Wir alle sind in Gottes Hand, davon war er seit Kindheit an überzeugt. Aber dass der Herr ein so auffallendes Wunder für die Seinigen verrichtete, das gab ihm Zuversicht für sein weiteres Leben.