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Die Alchemie des Splendor Solis (Buchempfehlung)

„Splendor Solis oder Sonnenglanz“, eines der berühmtesten Bild- und Textwerke der Alchemie aus dem 16. Jahrhundert, bietet mit seinen 22 farbenprächtigen Miniaturen einen einzigartigen Symbolschlüssel zum Verständnis von transformatorischen seelischen Prozessen. Gabriele Quinque macht dieses vielschichtige, kryptische Werk auf dem Fundament der Hermetischen Philosophie transparent und geleitet die Leserin und den Leser durch 22 Pforten auf einen faszinierenden Erkenntnis- und Entwicklungsweg.

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Leseprobe:

Verehrter Leser, seien Sie gegrüßt auf dem Weg zu den zweiundzwanzig Pforten der Alchemie des Splendor Solis! Die uralten Tore der Weisheit wollen sich öffnen und Ihnen die Geheimnisse der Älteren Brüder kundtun.
Erwarten Sie jedoch nicht, gleich morgen mit dem Großen Werk beginnen zu können, aber seien Sie sich Ihrer Berufung dazu bewusst. Der göttliche Funke in Ihnen weiß sich von höchster Stelle auserwählt, das erhabene Ziel wahrer Menschwerdung zu erreichen. So stellt sich nur die Frage, inwieweit Sie diesen Funken bisher schon zu entfachen verstanden und ihn zum Leuchten brachten. Den Ruf in der Wüste haben Sie bereits vernommen, sonst könnte ein Buch über den Splendor Solis niemals in Ihre Nähe gelangt sein. Jetzt folgen Sie diesem Ruf seit Jahren, Jahrzehnten, in Ihrer Seele vielleicht schon seit Jahrhunderten oder gar noch länger.
Wie dem auch sei, das Unfassbare zu erfassen, machte bereits in der Vergangenheit den wesentlichen Antrieb Ihres Lebens aus, was Sie dazu prädestinierte, sich dem überlieferten Geheimwissen annähern zu dürfen. Aber viel Fleiß und noch mehr Geduld gehören zu den verlässlichsten Lehrmeistern der Königlichen Kunst – was den Weg recht langwierig gestaltet. Lassen Sie uns darum eine heilbringende Finesse darin sehen, wie doch jede vermeintliche Abkürzung im günstigsten Fall über einen Umweg führt, schlimmstenfalls jedoch gnadenlos an den Anfang zurückversetzt.

Wenn Sie freilich Ihren Eliphas Lévi, Ihren Julius Evola, Ihren F.R.C. Johannes Helmond nicht nur stolz in Besitz genommen, sondern auch studiert haben, so sind Sie ein Theoretiker der Hohen Magie und haben schon etliche Früchte des erlesenen Wissens gesammelt. Darum wird es uns beiden reichlich Pläsier bereiten, ungewöhnliche Gedanken auszutauschen, die unseren ahnungslosen Mitmenschen notgedrungen verschlossen bleiben.
Verfügen Sie zusätzlich über einen sakralen Erfahrungsschatz, da sich Ihnen auch die religiöse Dimension der Geheimlehre ausreichend mitteilt – was Sie daran erkennen, dass Sie sehr genau wissen, was der Romanautor Gustav Meyrink meint, wenn er das Leben mit dem Ruf nach Gott zu galoppieren beginnen lässt wie ein wildes Pferd – so prägte sich Ihrem Willen bereits ein Ferment auf, das Ihr Streben nach Vergeistigung beschleunigt. Dann wird Ihnen so manches Stichwort Genuss verschaffen, das ich Ihnen hier nur kurz zurufe, weil ausreichende Erklärungen den Rahmen dieses Buches sprengen würden.
Zu guter Letzt sei noch ein dritter Aspekt erwähnt, der zwar nur selten in Betracht kommt, da er von elitärer Laufbahn zeugt, und der dennoch, so komplex er sich auch gestaltet, für den darin Bewanderten sogleich an nur wenigen Schlüsselbegriffen erkennbar wird: Stehen Sie unter dem Signum des göttlichen Auges? Befinden Sie sich auf fraternaler Fahrt in das Morgenland? Ruhen Sie hin und wieder in dem Schatten tragender Säulen? Wenn ja, dann sind Sie ein Sohn der Witwe, ein Gefährte des Horus, ein Frater des Lichtes oder eine Göttliche Magd, eine Soror Mystica, eine Soror in Saeculo. In diesem Fall erhebt sich unser Einverständnis zu einem veredelten Destillat, das alle Weisheit in das Initiatische erhöht und damit der heiligen Alchemie des Splendor Solis vollumfänglich gerecht wird.
So häufig, wie man meinen könnte, trifft man die kultisch erworbene Tugend erlauchter Brüderlichkeit unter den Alchemisten gar nicht an. Mir fiel während meiner Studien auf, dass diese Prunkschrift in den Köpfen der sogenannten Kocher und Windmacher kaum Einzug hält, und wenn einmal darauf Bezug genommen wird, so kommt es vor, der Wissenschaftler degradiert den Purpurmantel in den Händen der perlengezierten Sophia zu einem roten Handtuch, das sie – wie er wohl vermutet – dem Quecksilbermohren nach dem Entsteigen aus dem äthiopischen Sumpf zum Abtrocknen hinhält. Wobei wir den Urheber sogleich nicht mehr als Herrn von vielen Graden einstufen können und auf den Mangel von Initiation zu schließen haben. Weder lag bis zu dem Zeitpunkt seiner Formulierung eine Schwertspitze auf der Schulter des Gelehrten noch wallte jemals eine purpurne Robe mit ihm durch die Tempelhallen.
Uns hingegen sei das Folgende Gewissheit und Voraussetzung: Die sorgfältig ausgewählte Symbolik der zweiundzwanzig Miniaturen des Splendor Solis spricht in erster Linie das initiatische Potential im Menschen an und erweckt ganz langsam jenes hermetische Kind, das sich im jungfräulichen Mutterschoß religiös-mystischer Weihen entwickeln soll und nicht weniger meint als das Hervorbringen eines immerwährenden solaren Bewusstseins, geboren aus dem Uterus der Ewigkeit. Der Alchemist nährt seinen heranreifenden Embryo mit Jungfernmilch. Er geht also jenen seelischen Läuterungsweg, der dem Sündenfall in die Mariengeburt verhilft, das erdwärts gerichtete Verführungslied der paradiesischen Eva umkehrt und als Ave Maria an den Toren des Neuen Jerusalem erklingen lässt. Erst diese Versöhnungshymne erschafft jenen salomonisch geweihten Raum, in den die verfeinerte Alchemie mit Vorliebe in ihren kostbaren Sonntagskleidern einzieht.

Mit den zweiundzwanzig Miniaturen stellt die Prunkschrift Splendor Solis nicht nur das schönste Kunstwerk der Alchemie des 16. Jahrhunderts dar, sie führt den Adepten auch auf die richtige Bewusstseinsfährte, weil sie einer Gold- und Kräuterhexerei gänzlich den Boden entzieht und den Sonnenglanz vor allem als himmlischen Leitstern zu hochgradigen Erkenntnissen erstrahlen lässt. Von »Splendor Solis oder Sonnenglanz« existieren als Pergamentschrift nur noch fünf teilweise fragmentarische Abschriften des Originals, das im Kupferstichkabinett in Berlin bewahrt wird. Eine vollständige Kopie befindet sich in der Berliner Staatsbibliothek unter der Registratur codex germ. fol. 42. In einer Londoner Zweitschrift wird der Alchemist Salomon Trismosin als Verfasser angegeben. Trismosin sagt von sich selbst in der Schrift Aureum vellus (1490), er habe das Elixier gefunden, das ihm hundertundfünfzig Jahre lang die Jugend und Manneskraft zurückgegeben hätte. Er rühmt als Quelle die Handschrift Aurora consurgens (um 1420, Züricher Zentralbibliothek), die ihm das Geheimnis offenbarte. In einem wertvollen Faksimiledruck eines Pharmakonzerns (Krewel-Werke, 1972) gelangt der Sonnenglanz auch heute oftmals in die Hände Suchender. Diese Publikationen sind meistens gut erhalten, weil die Mediziner, denen man solche Kostbarkeit einst als Dank für erreichte Umsatzziele zukommen ließ, das Geschenk fast unbeachtet mitsamt der Schutzhülle in ein Bücherregal verbannten, wo es nach deren Tod die Erben auffanden und an ein Antiquariat verkauften.

Sowohl die Miniaturen als auch die Begleittexte im Splendor Solis werden Ihnen, verehrter Leser, hier zugänglich gemacht. Die Reihenfolge der Miniaturen entspricht dem Original des Kupferstichkabinetts. In dem Nachdruck aus der Berliner Staatsbibliothek ist der Ritter mit dem Adepten vertauscht. Die Originaltexte, die Sie kennen lernen, habe ich dem Nachdruck von 1972 fast wortgetreu entlehnt. Bei der Übertragung in verständliches Deutsch ergaben sich stilistische Abweichungen wegen der Anpassung an den modernen Sprachgebrauch. Um den Sinn möglichst getreu zu erhalten, blieb bei der Entzifferung die eine oder andere Stilblüte insoweit unverändert, als sie im Kontext noch verständlich ist.
So liegen Ihnen nun die tradierten Texte in lesbarer Form vor. Zusätzlich werden wir das Bildmaterial kontemplativ zu unserer gemeinsamen Erbauung erschließen.
Seit ich mein Herz dem Sonnenglanz mit Freude öffnete, wurden die Allegorien hin und wieder von dem uralten Lächeln eines unsichtbaren Adepten überlagert. Da begannen die Miniaturen aus sich heraus zu leuchten und zu leben. Und eine gütige Hand schien bis- weilen aus den golderhöhten Einrahmungen nach der meinen zu greifen, um mich zu Deutungen zu führen, die ich gerne an Sie weiterreiche.
Aber bevor wir das alchemistische Schatzkästlein öffnen und uns von Bild und Text des Sonnenglanzes inspirieren lassen, gestatten Sie mir, Sie ein wenig an die Begrifflichkeit der Alchemie zu erinnern und Sie zu den Schwellen jenes geheimen Tempelbaus zu geleiten, dessen Mauern das Heiligtum vor dem Eindringen Unberufener schützen.

Wie weit sich Ihnen hier die Pforten öffnen und ob Sie Einlass finden und sogar in verborgene Winkel blicken dürfen, vermag ich nicht zu sagen. Eine Hierarchie von unbestechlichen Wächtern wird den wahren Beweggrund Ihres Ankommens vor den jeweiligen Toren prüfen und Sie stets nur dann hereinkommen lassen, wenn es Ihre geistige Würde erlaubt, eine Schwelle nach der anderen zu überschreiten. Um den erforderlichen geistigen Rang zu erlangen, der befugt, ganz in die Arkanlehre der Alchemie eindringen zu dürfen, bedarf es einer bestimmten Form von Weihe, von der die Miniaturen zwar berichten, die sie jedoch nicht unmittelbar erteilen.
Bekanntlich hat die Theorie der Praxis vorauszugehen, und zu gegebener Zeit können Sie vielleicht – sofern das Mysterium sich in Ihrem Fall noch nicht vollzogen haben sollte – die stufenweise Einweihung erfahren, wie sie die mystischen Brüdergemeinden in ihren verborgenen Tempeln bewahren. Von dort aus ruft uns jener vertraute Dichter, dessen entfachtes Herdfeuer beständig in uns lodert, die wichtigste Botschaft zu:

Was diese Wissenschaft betrifft –
Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden, Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arznei ist’s kaum zu unterscheiden. Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr nur einen hört Und auf des Meisters Worte schwört.
Im ganzen – haltet Euch an Worte!
Dann geht Ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
Johann Wolfgang von Goethe

 

 

Inhaltsverzeichnis:

  • Splendor Solis – ein Mysteriengeschenk der Älteren Brüder
  • Vier Grundregeln der Alchemie
  • Unsterblichkeit und leibliche Auferstehung
  • Alchemistische Symbolik
  • Nigredo, das schwarze Werk des Raben
  • Albedo, das weiße Werk der Taube
  • Rubedo, das rote Werk des Phönix
  • Der Vorhof – Die Pforten zu den Hallen der Erkenntnis
  • Arma Artis – die Waffen der Kunst
  • Der Hermaphrodit mit der Phiole
  • Der Meister der Separatio
  • König und Königin
  • Das Heiligtum – Die Pforten zu den sieben Tempeln der Weihe
  • Die Arbeit im Bergwerk
  • Der Baum der Philosophen
  • Die Königliche Kunst drittes Gleichnis
  • Das Mysterium des Purpurmantels
  • Der Androgyn mit dem Stein der Weisen
  • Die rituelle Zerstückelung
  • Der Kessel der Wiedergeburt
  • Die Krypta – Die Pforten zu den Sarkophagen der Läuterung
  • Putrefaktion – die Erweckung des Drachen
  • Sublimation – die Farben des Werkes
  • Coagulation – die Bindung an den Geist
  • Solution – das Erwachen der Selbsterkenntnis
  • Destillation – die Erquickung der Seele
  • Calzination – das Salz der Erde
  • Extraktion – die rote Tinktur
  • Das Allerheiligste – Die Pforten zu den Altären der Erlösung
  • Norden: Die schwarze Sonne
  • Süden: Das Spiel der Kinder
  • Westen: Das Werk der Wäscherinnen
  • Osten: Der Sonnenglanz
  • Abschließende Originaltexte
  • Von der Regierung des Feuers
  • Der fünfte Traktat – von den Farben, die sich zeigen
  • in der Bereitung des Steines
  • Der sechste Traktat – von den Eigenschaften
  • der ganzen Arbeit der Bereitung des Steines
  • Der siebte Traktat – von des ganzen Werkes vielfältiger Wirkung
  • Schlussrede

 

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Gabriele Quinque
 

Auf der Grundlage langjähriger Erfahrungen in Initiatenorden gründete sie im Jahr 2000 gemeinsam mit anderen Gefährten den FMG-Förderkreis für Mythologisches Gedankengut, der sich die Aufgabe stellt, tradierte Mythen zu bewahren und die Weisheit der Älteren Brüder im dazugehörigen Templum C.R.C. durch ein Einweihungssystem in der Tradition der Gold- und Rosenkreuzer lebendig zu halten. Mit allen Aktivitäten äußert sie das Anliegen, in jedem Mann und in jeder Frau eine geistige und religiöse Orientierung zu fördern.

  • Gabriele Quinque sagt:

    Liebe Eva-Maria, schön zu lesen, dass Ihr Splendor Solis in Eurem Paradies hört. Das Buch gibt es als Paperback mit sw-Abbildungen der Tafeln oder gebunden mit schönen farbigen Drucken. Kannst Du ganz normal im Fachhandel oder online bestellen. Dir und Freddy sende ich herzliche Grüße und freue mich auf ein Wiedersehen vielleicht in Frankfurt, Gabriele

  • Eva-Maria Speck sagt:

    Obschon ich die Worte über die Audiothek hören kann, möchte ich das Kostbare auch noch in Buchform, auf dass Bilder und Worte, das ganze Kostbare, noch besser be – greifbarer und ein – sichtig werden.

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