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Die Widder-Waage-Achse im Tierkreis

Gabriele Quinque Astrologie

Der Tierkreis konnte sich Zugang in den Heidenvorhof des Tempels der Hermetik verschaffen. Dass er dort zu finden ist, hat man ihm vielleicht gegen seinen Willen angetan. Fest steht jedoch, das runde Kosmogramm verträgt im Gegensatz zu den Säulen der Kabbala oder Alchemie auch das Widerspiegeln banaler Belange. Zumindest in analoger Hinsicht lässt sich die Komödie menschlicher Alltäglichkeit in die Zwiesprache astrologischer Benennungsschlüssel übertragen. Beginnt man damit, seine persönlichen Schicksalsbilder mit Hilfe des Geburtshoroskopes einzusortieren, bleibt aber dabei nicht stecken, führt die Astrosophie zu größerer Bewusstheit und erweist sich als guter Wegweiser in das innere Heiligtum. Den Tierkreis jedoch nicht als Vorbereitung für Größeres zu sehen und ihn auf Dauer in diesseitige Strukturen zu bannen, führt entweder zu intellektueller Trockenheit oder zu schwärmerischem Mystizismus. Beide Varianten sind Sackgassen des Bewusstseins, da sie nicht voranführen. Die schlimmste Version astrologischer Verirrungen mündet in einem ängstlichen Aberglauben vor sogenannten unguten Konstellationen, der sich bis zur Hysterie steigern kann. Alles Blendwerk erschwert der Seele die Heimkehr in die Ewigkeit. Darum kommt es einem tödlichen Seelengift gleich, wenn das irdische Dasein auf sich selbst begrenzt bleibt.

Die Opposition und ihr Bezug zum Mondprinzip

Wollen wir den mundanen Tierkreis würdigen, so erblicken wir ihn als Pantheon, in dem uns zwölf Urprinzipien auffordern, den Blick für die Bausteine der Schöpfung zu schulen. Haben wir diese zwölf unterschiedlichen Charaktere durch analoges Hinschauen schließlich lieben gelernt, ergeht auch die Erlaubnis, mit ihnen spielen zu dürfen. Zum Beispiel können wir uns auf die Achsen einstellen, um ihre Oppositionen zu studieren. Opposition heißt Widerstand, Gegensatz. Nennen wir die Opposition anfänglich metaphorisch „das böse Weib“, so liegen wir richtig, denn sie hat einen Mondbezug und muss in ihrer Spannung gebändigt werden. Shakespeare griff mit seiner Komödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ dieses Thema auf. So ruft der mutige Mann schon seit Jahrtausenden aus:

Kunst über alle Künste,
ein böses Weib gut zu machen!

Unzählig sind die Geschichten der garstigen Frau. Im Judentum gibt es das Märchen von der boshaften Mette, und die Erzählung von der bösen Käthe steht hinter dem Musical „Kiss me Kate“. In einer Satire der Philosophie reitet Phyllis Aristoteles, um anzuzeigen, wie das Weib den Philosophen auf alle Viere zurückstuft, was ein Wink auf die vier causae sein soll, in denen Aristoteles den Universalgedanken Platons verlässt. Das Thema der Durcheinanderbringerin ist aber noch viel älter. Lauschen wir in die Schöpfungsmythen der Hellenen hinein. Dort erschafft Prometheus die Menschen aus Lehm. Athene beseelt sie und verleiht ihnen auf diese Weise Lebendigkeit. Es sind zunächst ausschließlich Männer und sie leben untereinander in Frieden. Zeus jedoch bangt um seine Macht. Um Unheil unter ihnen zu stiften, erfindet er das Weib. Der olympische Gebieter lässt von Hephaistos eine wunderschöne Frauengestalt aus Ton anfertigen und nennt sie Pandora, das Geschenk, das zur Vollendung fehlt. Zeus bittet alle Götter im Pantheon, die Frau mit verführerischen Reizen auszustatten. Vor allem die Göttin Aphrodite haucht viel Schönes über das Kunstwerk.

Da gebe ich ein Übel,
Dessen sich alle sollen erfreuen
und liebend umarmen ihr eigenes Verderben!
Also sprach und lachte auf der
Vater der Menschen und der Götter.
Homer

Nachdem die liebreizende Pandora fertiggestellt und beseelt ist, wird der Prototyp des Femininen auf die Erde entsandt. Damit Zeus die Arglist des schlauen Prometheus ausschließen kann, erwählt er dessen dummen Bruder Epimetheus als Empfänger seiner Gabe. Als dieser die wunderschöne Frauengestalt erblickt, heiratet er sie sofort, ohne sich genauer zu vergewissern, wer sie ist und woher sie kommt. Pandora hat eine gefüllte Amphore dabei, die sie auf die Erde schüttet. Dieses Gefäß ging als die berühmte Büchse der Pandora in die Annalen ein und wird noch heute als Synonym des bösen Anteils im weiblichen Charakters verstanden. Wenn die Büchse der Pandora sich öffnet, fallen solche Dinge wie Sorge, Unglück, Mühsal, Verzicht, Kälte, Härte, Ohnmacht, Strenge, Schmerz, Geiz, Neid, Hass, Streit heraus und verbreiten sich rasch auf der Erde wie eine ansteckende Krankheit.

Auch bei der Opposition im Radix geht es um Streit und Widerspruch. Dennoch hat jeder Streit wiederum sein Gutes, er schärft die eigene Wahrnehmung besser als ein ängstlicher Scheinfrieden. In der Geschichte der Pandora wird deshalb etwas Elementares transportiert, das ein großes Heilungspotential für einen kranken Materialismus eröffnet. Diese uralten Mythologeme sind nicht überholt, wie viele meinen, sie bleiben stets zeitlos und eröffnen den Blick in das Geheimnis des Daseins; sie wurzeln in den Anfängen der Menschwerdung, und wer gedanklich nicht dorthin zurückkehrt, dem verbirgt sich auch der Blick auf das segensreiche Ende. Er bleibt dann mitten auf seinem Wege stehen und zankt sich von Animus zu Anima (und wieder retour) oder schimpft auf die große Koalition, die Industrie, die Wettervorhersage und überhaupt auf die äußeren Umstände. Wer aus diesem uralten Spiel der Projektionen aussteigen möchte, tut gut daran, sich mit dem Gefäß der Pandora auseinander zu setzen. Wer sehen lernt, dass es ebendiese Spannung zwischen Himmel und Erde ist, die den Welten die Formen verleiht, der kann auch die Geschenke der Pandora als notwendiges Übel begreifen. Dann findet der Begnadete vielleicht das wichtigste Kleinod, das in dieser Büchse verborgen liegt. Der Mythos berichtet, dieses wird von Pandora nicht auf die Erde geschüttet. Der Mensch muss dieses Ding selbst suchen und finden, niemand kann ihm diese Arbeit abnehmen. Was es wirklich ist, bleibt ein Geheimnis. Manche sagen, es sei die Hoffnung. Aber was wäre eine blinde Hoffnung ohne vorherige Läuterung der Absicht? Die Hoffnung auf Erlösung vielleicht, auf Überwindung der Zweiheit, auf das Wiedererlangen der Einheit, das ist die einzige Form von Hoffnung, die Sinn macht. Aber diese Hoffnung wächst nicht auf dem unbewussten Hinnehmen von Leid, sie entsteht vielmehr auf der Basis der grundlegenden Forderungen des Menschseins, die darin liegt, durch Leidensdruck eine Katharsis zu begehren und in deren Folge den Lebenssinn ganz und gar auf den Himmel auszurichten. So könnte das Kleinod der Pandora eine Art von selbstloser Liebe sein, gelebte Hingabe oder gefühlte Demut nach Abschluss der Läuterung. Tatsächlich ist es in jedem Fall die Liebe, die bei der Opposition zwischen den Kontrahenten auf den Achsen im Tierkreis eine Brücke schlagen kann, zumal es davon sechs gibt, eine friedliebende Zahlenqualität, die der Venus sehr entgegenkommt. Venus gilt als große Kupplerin des Universums. Als treue Gespielin der Sonne mischt sie sich andauernd in das menschliche Leben ein, und so kann sie bestimmt auch helfen, die Polarität der Achsen zu überbrücken.

Die Opposition als Brutstätte der Schuldprojektion

Leben ist schön, das ist das Credo unseres Zeitalters. Dies mag für viele Mitbürger stimmen, aber mehr noch sollte das Leben wichtig und sinnvoll sein! Alles hat seine zwei Seiten – wie die Mondnatur – so auch das Leben. Auf Erden lebendig zu sein eröffnet die Chance, in der Form vollständig erkennend zu werden. Die Einkörperung in den Stoff kann der Seele aber auch großen Schaden zufügen, sofern sie mitten in der Zeitlichkeit ihre Zugehörigkeit zur Ewigkeit vergisst. Hier hilft die Ansprache von außen bzw. die Partnerschaft. Nennen wir sie schicksalhafte Begegnung und vermuten wir darin das größte Heilmittel überhaupt. Das Singledasein, zu dem sich heute viele bekennen, ist zwar konfliktloser und bequemer, aber gewiss weniger heilsam. Wohl dem, der sich mitten in das Getümmel von Eros, Philia und Agape hineinbegibt, denn er leistet in jeder Minute seiner partnerschaftlichen Begegnung intensive Schattenarbeit. Ohne deren Bewältigung gibt es keine Erlösung.

Oft hört man, die freundschaftliche Liebe (Philia) sei das elementarste Gut des Menschen, was bezogen auf das Gebot der Nächstenliebe auch richtig ist: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Sich selbst lieben zu lernen, dabei kann die Königin Astrologie wirklich helfen, denn sie lässt ihre Untertanen in der Bewusstheit ganz von selbst heranwachsen. Jede mentale Horizonterweiterung vermehrt auch die Liebe. Selten wird jedoch daran gedacht, wie viel Selbsterkenntnis notwendig ist, um richtig lieben zu können. Im Paradies war das Wort für erkennen und lieben noch dasselbe: Adam erkannte sein Weib! So wird es großen Segen bringen, die beiden Pole der Achsen zu erkennen und zu lieben.

Es heißt in der Überlieferung, wem es gelänge, die Qualitäten der Achsen auf allen Ebenen des Seins zu beherrschen, der befände sich auf direktem Weg in die Vollendung. Grund genug, die Achsen zu erforschen. Woher kennen wir das Thema der Achsen? Wir leben in den Achsen von Raum und Zeit. Das Symbol dafür ist das Kreuz. Im Tierkreis gibt es drei Kreuze von verschiedenen Qualitäten: kardinal, fix, labil. Das Kreuz wird mit Saturn, also mit Zucht, Leid oder Klarheit verbunden. Die Rosenkreuzer fügen dem Kreuz die Rose zu, sie zeigen damit an, dass die menschliche Seele im Schnittpunkt der beiden Balken zu höherer Einsicht und Liebe gelangen kann, was symbolisch mit dem Aufblühen der Rose einher geht. Die Erkenntnis unter dem Signum der Rose bringt eine Art Liebe hervor, die an das Verstehen gebunden ist. Aber welche Art von Liebe ist gemeint? Die Liebe zu einer Sache (Haus, Auto, Perlenkette) überdauert den Tod nicht, sie zerfällt notgedrungen mit den Gebeinen. Beschränkt man seine Liebe auf die sicht-, fühl- und messbaren Gegenstände des ersten Quadranten, hat man im Sinne der Ewigkeit vergeblich gelebt. Die ersten drei Tierkreiszeichen finden den Weg der Erkenntnis noch nicht, sie wissen nicht, was himmlischer Geist ist. Im Entwicklungsschema des Tierkreises stehen sie noch am Anfang, für Vernunft und höhere Einsicht sind sie gleichsam zu jung. Widder ist zu sehr mit seiner Motorik beschäftigt. Stier will nur warme Socken anziehen und in Ruhe liegen oder sitzen dürfen. Zwillinge braucht Varietézauberer, die den fünf Sinnen die Übernatürlichkeit durch Phänomene unter Beweis zu stellen scheinen.

Erst die zwischenmenschliche Liebe im zweiten Quadranten bringt dem Gemüt einen tieferen Sinn, der mit ein bisschen Glück bis zur Seele durchringt. Die Liebe zur Weisheit wohnt im dritten Quadranten und jene zu Gott im vierten. Die Früchte von diesen hohen Künsten der Liebe offenbaren sich nicht mehr in der Form, sie verbergen sich lieber vor den Blicken der Spötter und Unverständigen. Doch hinter dem Schleier erhebt sich die Seelenpersönlichkeit allmählich in die Unsterblichkeit.

Die Tafelrunde

In der Gralslegende hat man den Mittelpunkt des Kreuzes zur Tafelrunde erweitert. Um die Rosenmitte entfaltet sich der Tierkreis, den die Ritter der Kreuzzüge aus Arabien in das christliche Abendland zurückbrachten. Zwölf Doppelsitze werden zum Symbol für die Dualität der Urprinzipien. Die schwarze Seite gilt dem unerlösten Sarkiger, der den Tierkreis in den Stoff stürzt, die weiße gehört dem Pneumatiker, dessen Bestreben es ist, den Tierkreis in den Geist der Götter zu erheben. Letzterer wandelt die Tafel zu dem Ideal der 24 Ältesten, welche die intakte Welt Gottes in der Offenbarung des Johannes umringen.

Aus der Artussage erfahren wir auch: Der König bedarf des Grals, um gesund zu sein. Der Gral steht synonym für die Speisung mit gnostischer Weisheit! Blut und Wasser, Rot und Weiß floss aus der Seite Christi. Jesus- und Christusgeist ergießen sich in dasselbe Gefäß, das aufnahmefähig ist wie eine nach oben geöffnete Mondenhälfte. Genèvre, die Gemahlin und Königin am Artushof vergaß den Heiligen Gral, denn der König und sein Reich sind krank. So wird Genèvre zur Pandora im Gralsmythos, sie spielt ein falsches Spiel mit einem Becher, was bis in die Form hinein gerinnt, indem sie Artus mit dem Ritter Lancelot betrügt. Genèvre geht in Opposition zu ihrer Pflicht als Königin und Gemahlin, analog dazu, wie die menschliche Seele untreu gegenüber Gott wird. Um diese Schuld in das Heil umzukehren, müssen die Ritter den Gral suchen.

Die Bewältigungsskala der Opposition vom Lancelot-Weg zum Parzival-Weg

Das solare Bewusstsein entspricht dem ganzen Tierkreis, gleicht der runden Rittertafel und der Zahl Eins. Aber der Mensch hat sich davon abgesondert und lebt im lunaren Bewusstsein, im Signum der Zahl Zwei. Die Opposition ist ein 180 Grad Abstand, sie teilt den 360 Grad umspannenden Kreis in zwei gleich große Hälften. Sobald die Achsen erscheinen, gibt es im Tierkreis immer etwas, das sich gegenübersteht. Was als Born der Einheit gemeint war, wie die Tafel des Artus, ist jetzt zerbrochen, rundherum herrscht Opposition. Der Mensch muss diese Opposition außen durch die Begegnung auf sich nehmen und die schwierigen Anteile der Konstellation entweder erleiden, abbüßen oder die Chance nutzen, das Quälende in sich selbst aufzuspüren und zu erlösen. Unfreiwillige Trübsal oder freiwillige Erkenntnisarbeit. Beide Wahlmöglichkeiten sind für jeden vorhanden.

Den Weg des Ertragens der Schicksalsgewalt könnten wir als Lancelot-Weg bezeichnen. Da dieser Ritter die konkrete Frau als Genèvre begehrt, leidet er unter dem „bösen Weib“, sprich an der Opposition. Lancelot überblickt nur die Welt der Formen und jene des Gemüts. Wenn z. B. der Astrologe wie ein Lancelot arbeitet, wendet er das Wissen aus dem Tierkreis ausschließlich für das persönliche Leben an und verschließt sich mit seiner Erdverhaftung vor der überirdischen Gralsfindung. Anders gesagt, er ordnet sich den Formen unter und wagt eine Beurteilung, ohne den ursächlichen Sinn allen äußeren Geschehens erkennen zu wollen. Er bleibt also wie ein Süchtiger im Stoff stecken, sucht wiederholt neue Mittelchen für sein Heil, schluckt Pillen und hält nach Hilfe von außen Ausschau, anstatt nur einmal den heiligen Mittler, den Guten Hirten in sich selbst zu finden, der das Leid in der Seele bereinigt und zwar radikal, an die Wurzel gehend!

Lancelot bedient den waagerechten Kreuzesbalken, liegt hochgerüstet, stoffgebunden am Boden und erfährt das Leid äußerlich durch minnigliche Frauen, die Repräsentanten der Materie sind. Ein Mensch auf dem Lancelot-Weg denkt, einfach vor sich hin zu leben würde schon genügen. So arbeitet er sein Schicksal ab, hinterfragt es jedoch nicht nach den inneren Signaturen, die es notwendig machen.

Die Alternative dazu zeigt der Parzival-Weg auf, weil dieser den senkrechten Kreuzesbalken bedient. Parzival erweist sich im Gralsmythos um so lernwilliger, je älter er wird. Parzival wird läuterungsfähig, da er sehen lernt, welche Schuld er durch seine Unbewusstheit auf sich geladen hat. Er gibt sich nicht allein mit dem äußeren Weiblichen zufrieden, folgt nicht einfach dem Weib in die Welt der Form, sondern macht sich auf den Weg und spürt weibliche Inhalte in sich selbst auf. Auf diese Weise erhebt er sein Herz und verwirklicht den senkrechten Kreuzesbalken. Darum findet er schließlich die Gralsburg, oder besser sei gesagt: Er wird auf Grund seiner inneren Haltung von der Schwingung der Gralsburg angezogen.

Der Gral war im weiblichen Westen versunken und Parzival trägt ihn wieder in den männlichen Osten. Das allein ist das Geheimnis aller Myterienbünde. Dies meint, Parzival rettet die Weltenseele vor dem Untergang im kollektiven Unbewussten und führt sie der Offenbarung des göttlichen Lichtes zu. Auf diesem Gralsweg geschieht vollständige Individuation und kosmische Integration, d. h. die Ausbildung einer komplexen Persönlichkeit, die den ganzen Tierkreis umfasst. Parzival erkennt im mundanen Tierkreis eine mythologische Anleitung für die Gegensatzvereinigung, für den Hieros gamos, die heilige Hochzeit von Seele und Geist.

Beide – Lanzelot und Parzival – befinden sich im Tierkreis, denn sie gehören als Ritter zur Tafelrunde. Der eine zerbricht an der Opposition, und mit ihm das ganze Königreich, der andere zieht sein Heil daraus, lässt den kranken Gralskönig genesen und dient am Ende dem Gral. Für den ungeläuterten, untherapierten Lanzelot-Menschen herrschen These und Antithese auf den sechs Achsen, denn er bleibt im Intellekt stecken und sieht nur Unterschiede in der Welt. Der Parzival-Mensch vollzieht die Synthese der Kontrahenten in seinem Herzen und erblickt die Einheit allen Seins. Wir sollten noch die Besonderheit wertschätzen, dass es nur weibliche oder männliche Achsen gibt. Es kommen Feuer und Luft oder Wasser und Erde zusammen. Die Pole der Achsen kämpfen somit gegen die eigene Natur an, freilich mit gänzlich anderen Werkzeugen.

Die Widder-Waage-Achse

Wenden wir uns der ersten Achse zu, um an ihr zu üben, was Achsenarbeit bedeutet. Betrachten wir einige astrologische Schlagworte, um uns an den Charakter der Zeichen Widder und Waage zu erinnern. Wir stellen die bekannten Figuren hinein, um die beiden Pole der Achse anschaulich zu machen. Der Gott Ares, der im Widder herrscht, leitet sich ab von grch. aries, was Sturmbock oder Rammbock bedeutet. So ist Widder stets bereit, seine Ich-Dominanz mit Wucht zu behaupten und für seine Belange in den Krieg zu ziehen. Gegenüber im Du-Bereich lebt die Waage für ihre Ideenwelt. Weil Aphrodite dort ihre stilistisch schönste Domäne hat, drehen sich alle Gedanken um Ästhetik und Harmonie.

Feuer beherrscht den Widder, Luft die Waage, also sind beide von aktiver Natur. Als kardinale Zeichen befinden sich beide unter dem Drang nach außen zu streben. Wie ein Pfeil, der abgeschossen werden soll, leben sie beständig in der Spannung, immer bedacht auf die nächstfolgende Bewegung. Flog der Pfeil davon, ist er nicht mehr wichtig und man spannt den Bogen sogleich wieder.

Der Lancelot-Weg von Widder und Waage

Der Weg des ungeläuterten Lancelot führt uns auf die Bühne alltäglicher Zwischenmenschlichkeit. Folgendermaßen könnte sich eine Geschichte der Antipoden in der Opposition gestalten: Beide bewegen sich gern, Widder meistens zackig und schnell, auf dem Sportplatz oder im Rennwagen. Waage zeigt sich wie eine grazile Blume, schwingend wie eine Violine, bewegt sie sich von einem Fest zum anderen, trippelt durch Museen, lächelt geziert auf einer Vernissage, begegnet Freunden und freut sich ohne Unterlass an der Kunst und der kunstvollen Gestaltung des Lebens. Waage beginnt gerade erst damit, ein geistiges Leben zu führen und weiß eigentlich noch nicht, was damit wirklich gemeint ist. Deswegen verwechselt sie geistig mit idealisiert oder parfümiert und künstelt sich durch ihr Dasein. Immerhin hüpft Waage aber schon leichtfüßig davon, wenn es allzu irdisch zugeht. Schon sucht sie nach der ultimativen Idee als sinngebenden Antrieb für das eigene Leben, verliert sich aber als Luftzeichen dann doch wieder in Fluchtmechanismen wie Aktionismus oder Unterhaltung. Diese Rastlosigkeit, das Umhergetriebensein entspricht der kardinalen Luft, feurige Luft kommt nicht freiwillig zur Ruhe. Im tiefsten Kern ist die friedliebende Waage auch aggressiv, zumindest auf gedanklichen Ebenen. Astrologen kennen das geflügelte Wort von dem Schreibtischtäter oder Gedankenmörder: „Morgen bringe ich ihn um“, denkt die Waage heute, aber bis es morgen ist, hat sie ihr Vorhaben schon wieder relativiert. Weil die Waage es dann aber doch nicht wahrhaben will, dass sie gehässige, bösartige Züge verbirgt, begegnet sie dem Haudegen aus dem Widderzeichen, der ihre schönsten Blumen knickt, und ihre Damastservietten zum Schuhe polieren benutzt. Ihren einzigen Louis-Vuitton-Koffer schnallt er bei Regen auf die Harley Davidson und fährt damit Grasbahnrennen. Als wäre dies alles noch nicht schlimm genug, übersteuert er ihre teuren Konzertboxen mit seinem Hardrock. Da Waage jedoch die Marionette ihrer übersteigerten Harmoniebedürfnisse ist, hält sie die Vorwürfe zunächst zurück und heuchelt eine tolerante Scheinüberlegenheit, die natürlich auf Dauer nicht funktioniert.

Wenn Waage die Erotik und Widder der Sex ist, so gibt es auf dieser Achse immer wieder gute Gründe, sich zusammenzutun. Es besteht ganz sicher eine Anziehung, doch leider aus verschiedenen Blickwinkeln – und schon wieder hagelt es Probleme. Wo die Waage sich raffiniertes Vorspiel wünscht, zerreißt Widder einfach ihre Designerbluse, wonach bei ihr das anfängliche erotische Knistern völlig dahin ist. In solchen Fällen ist die beliebteste Konfliktlösung der beiden eine Flucht in die Aktivität. Die Decke fällt ihnen auf den Kopf, sie müssen aus dem Bau. Waage will in schöne Begegnungen und Widder in die Selbstbehauptung. Unternehmen sie zusammen etwas, geht es natürlich wieder schief. Auf dem Waage-Spielfeld sieht es so aus: Sie überredet ihn zu einer Trüffelschwein-Reise mit Gourmets durch Frankreichs kulinarische Sterne. Nur denkt sie dabei an die Trüffel und er leider an das Schwein.

Nun dasselbe auf dem Widder Spielfeld: Ein Rockkonzert mit Lagerfeuer. Rocker sind für die Waage viel zu laut, am Lagerfeuer sitzt man auf dem Boden und dann kneifen die figurbetonten Edeljeans. Einer der Pumps verlor schon zu Beginn den Absatz im Gras, zu vorgerückter Stunde hängen die falschen Wimpern auf Halbmast und die halbhochgesteckten Haare liegen auch nicht mehr wunschgemäß. Und wenn Aphrodite aus dem Gleichgewicht gerät, wird sie zickig, was Rocker gar nicht mögen. Also ist der Streit unausweichlich. Danach zieht sie sich als Single zurück und spricht von nun an nur noch mit ihresgleichen, was zu beträchtlichen Neurosen führt. Eine Waage ohne Partner stellt keine Lösung dar. Es kennzeichnet nur die verzweifelte Flucht vor Konflikten. Widder tobt sich indessen aus und verwechselt sein unstetes Umherziehen mit Freiheit. – So ähnlich sieht der fatale Lancelot-Weg auf der Widder-Waage-Achse aus.

Narziss und Echo als Gleichnis der unerlösten Widder-Waage-Achse

In mythischer Sprache wird die Misere an dem Mythos des Narziss deutlich. Narziss, der Sohn einer zarten Nymphe (Waage) und Kephisos, dem reißenden Strom (Widder), der sie einst in einer Flussbiegung mit Gewalt nahm, ist zu einem schönen Jüngling herangewachsen, der Jahr für Jahr mehr von Knaben und Mädchen begehrt wird. Nur leider besitzt er einen spröden Stolz.

Dies erzählt uns der römische Dichter Ovid. Auf die Frage, ob Narziss wohl ein langes Leben haben werde, antwortet der Seher Theiresias: „Wenn er sich selbst nicht kennt!“ Niemand versteht zunächst diese sibyllinischen Worte. Wie denn auch? Sie berühren den Schatten! Wer den Schatten, das Spiegelbild, nicht an sich heranlässt, wird sich niemals selbst erkennen können. Echo, die plaudernde leichtfüßige Nymphe verliebt sich in ihn. Echo spricht nur nach, was sie hört. Sie reagiert gleichsam als Du auf eine Aktion des Ichs. Von Liebe getrieben folgt Echo dem Jüngling bald auf Schritt und Tritt. „Ist jemand hier“, ruft Narziss. Die Nymphe Echo wiederholt: „Hier, hier!“ Er ruft: „Komm her, wir vereinigen uns!“ Da eilt sie herbei, will sich an ihn drängen. Aber der eitle, spröde Jüngling ruft: „Eher sterbe ich, als dass ich dir verfiele!“ Die Nymphe antwortet nur: „Dass ich dir verfiele“, und wiederholt dies mehrfach als Echo.
Er entschwindet und sie verkriecht sich aus Scham der Ungeliebten in die Berghöhlen, sie magert ab und bleibt nur als Stimme übrig. Als Echo. Alle anderen verschmähten Liebhaber empfinden Mitleid mit Echo und verfluchen Narziss. Er soll sich auch verzehren nach einer Liebe, die er nicht gewinnen kann. Die Göttin der Rache erhört die berechtigte Bitte. Zu einer Quelle schreitet der Jüngling. Wie Silber glänzt das Wasser. Da beugt er sich zum Trinken nieder und erstarrt: Eine wunderschöne Gestalt blickt ihn an, gleich einem Bild aus Marmor, ein Antlitz schön wie Apollon, das Haar so rauschend wie der Schopf des Bacchus. Töricht begehre er sich selbst, sagt Ovid, doch müsste es anders heißen: Narziss begehrt töricht sein inneres Selbst, das er als Schatten auf dem Wasserspiegel erblickt. Die Persona und der Schatten ergeben gemeinsam das vollständige Selbst. Jahrhunderte lang verbringt Narziss vor seinem Spiegelbild, ohne sich abwenden zu können und den Schatten über die erlebte Liebe zu der Nymphe Echo zu erlösen. Er schlägt sich auf die Brust und ruft: „Wehe mir!“ Aber seine Reue kommt zu spät, das Echo antwortet nur: „Wehe mir!“ Als Narziss stirbt, findet er weder Scheiterhaufen noch Grab. Seine Seele hat keine Daseinsberechtigung in der Ewigkeit, sie vergeht, und aus Narziss wird eine Blume, die Narzisse des Frühlings, die den Herbst des Lebens niemals kennen lernen wird. Eine menschliche Seele war der spröde Jüngling schon lange nicht mehr, denn Menschsein bedeutet, den Schatten durch konkretes Zusammensein, durch Begegnung (Waage) lieben zu lernen.

Der Parzival-Weg von Widder und Waage

Gralsfindung auf dem Parzival-Weg beginnt damit, die Schlammschlacht der Vordergründigkeit zumindest schon in die Vernunft verlagern zu können und dem Andersartigen eine prinzipielle Existenzberechtigung auf der Bühne der Lebendigkeit einzuräumen. Wer im ganz anderen Verhalten dieselbe innere Absicht entdeckt und Integrationsprozesse erlaubt, entspannt sich. Dann vermag man sich gegenseitig als notwendige Ergänzung zu begreifen und macht sich an das Werk, die tiefsitzende Neurose der Bindungsunfähigkeit in eine „Neue Rose“ zu verwandeln. Im nächsten Zuge ließe sich dann die hohe Kunst der Gegensatzvereinigung auf der reinen Bewusstseinsebene praktizieren. Waage hält es mit den Sprüchen Salomonis 11,1: „Falsche Waage ist dem Herrn ein Gräuel, volles Gewicht findet sein Gefallen.“

Am besten befreit Waage das Urprinzip aus dem Spiegel und beginnt in allen Lebenslagen mutiger zu werden. Sie hört auf, nur die Oberfläche zu polieren, lässt die Rastlosigkeit im Konkreten hinter sich, wird Pionier (Widder) im geistigen Streben (Waage) und schätzt die Selbstreflektion über die Begegnung mit anderen, getreu des Mottos: Was mich am anderen stört, kann ich nur selbst als Schatten in mir tragen, sonst könnte es in meinem Spiegel nicht erscheinen. Bei den Eskimos heißt tarnec sowohl Schatten als auch Spiegel. Den Spiegel kann man als Präsentation des Schattens einsortieren. Spiegelfechterei, also das silberne Glas zu zerschlagen nützt wenig, es erscheint sogleich ein neues, noch deutlicheres Bild in einem anderen Spiegel. Das offenbarte Bild hingegen weise zu betrachten, es nach dem Geheimnis zu fragen, um zu erfahren, welcher Dämon oder Engel in der eigen Psyche verborgen schlummert, das macht Sinn.

Widder (Ich) und Waage (Du) bilden die klassische Beziehungsachse und suchen die Annäherung. Wer aggressiv ist, sucht heimlich immer Angleichung an das Objekt, gegen das er sich richtet. Das lat. aggredi heißt nicht nur angreifen, sondern auch hinzugehen. Solange Widder und Waage sich dieser Annäherung entziehen, wächst die Aggression. Konfrontieren beide freiwillig das Andersartige als willkommene Ergänzung, verschwindet die Aggression. Wohlgemerkt, in der erlösten Assimilation geht es nicht darum, die eigene Charakteristik zu verleugnen und so zu tun, als sei man wie der andere. Mit einer bequemen Relativierung ohne echte Konfrontation kommt man bei der Schattenintegration nicht weit. Diese erfordert, die Existenzberechtigung des ganz anderen zu akzeptieren, das Sinnvolle darin zu entdecken und dieses dann auch noch lieben zu können.

Das imaginäre mittelalterliche Liebespaar „Britomart und Amoret“ von Mary Raphael zeigt die Annäherung auf der Widder-Waage-Achse in vortrefflicher Weise. Er, hochgerüstet im Ich-Panzer, beginnt an Händen und Gesicht schon Haut zu zeigen. Sie schreit ihn nicht mit hässlichen Gesichtszügen, schlechter Frisur und nachlässiger Kleidung an: „Liebe mich gefälligst!“ Vielmehr hat sich die Prinzessin zauberhaft geschmückt und ist sich überhaupt nicht zu schade, zugunsten größerer Nähe eine Verbeugung zu wagen, sich etwas kleiner zu machen als sie eigentlich ist. Als Antwort wächst im ritterlichen Prinzen das Bedürfnis von noch mehr Berührung heran. Ohne ihm die Rüstung für immer nehmen zu wollen, dringt sie zu seinem weichen Kern durch. Er hingegen nutzt ihre Beugsamkeit nicht aus, sondern legt bestimmt bald das „Ich-Blech“ ab, um sie keinesfalls zu verletzen. Viel Klügeres lässt sich über eine beglückende Erotik zwischen Mann und Frau nicht sagen.

Diese Art der Verbindung gilt ebenso für den Austausch der Völker, und aus der Sicht der Crew von Raumschiff Enterprise auch für bewohnte Planeten. Dort lässt die sogenannte Föderation jedem Planeten seine Eigenart und erlaubt weder Eingreifen noch Zerstören der anderen. Wenn sich alle an dieses Gesetz hielten, wäre das Ergebnis davon Frieden, was wegen der Unterschiedlichkeit der Urprinzipien in der Realität nicht möglich ist. Frieden kennen wir als das Begehren der Waage. Diese gehört freilich schon in den geistigen Bereich, gerinnt also in die zähe Struktur der Sichtbarkeit nicht mehr mit. Frieden kann im Außen deshalb niemals dauerhaft sein, da Krieg einen Grundsatz in der Form ausmacht, der sein Recht fordert. Also spricht die Tradition der Rosenkreuzer von „innerem Frieden“. Jenen inneren Frieden erlangt man durch das Gehen eines Erkenntnisweges. Waage verwechselt diesen häufig mit wegschauen und weggehen, er ist aber nur durch hinschauen und dableiben möglich!

Mythologie als Heilmittel auf dem Parzival-Weg

Auf dem Parzivalweg schaut man in die Mythologie und nimmt für sich selbst daran Maß. Man versucht davon zu lernen und sich in die mythologische Ordnung zu erheben. Es lohnt sich deshalb, hier einmal das Heilsame antiker Mythen zu betonen, das darin liegt, die Urprinzipien in ihrer Dualität anschaulich dargestellt zu bekommen. Alle antiken Gottheiten zeigen die Charakterklaviatur der Menschheit auf und fügen sich daher nahtlos als Allegorien in den Tierkreis ein. Das Olympischen Pantheon meint: „Alles ist göttlich“. Dort wohnt auch der Teufel. Bei den Griechen ist dies der bockfüßige Pan. Betrachtet man die Urprinzipien einzeln, dann sind sie sehr verschieden voneinander. Der Eingeweihte der Antike, der den Ritus von Eleusis durchwandert hat, sieht sie dann schließlich als Einheit, denn er findet Uranus, den verbannten Gott im Tartaros und überwindet in seiner heiligen Gegenwart den Plural der Götter. Uranus heißt aber Himmel und ist mythisch mit dem Tierkreis identisch. Der dem himmlischen Geist geweihte Mensch erhebt sich in die Sphäre der Einheit und überwindet den Streit der untergeordneter Götter. Wer dies im Bewusstsein nachvollzieht überwindet die Kluft auf der Opposition und den Streit an der „kosmischen Tafelrunde“.

Ares und Aphrodite synonym für Widder und Waage

Bestimmend für das Zeichen Waage wirkt sich der Charakter der Göttin Aphrodite (röm. Venus) aus. Sie kommt aus dem Himmel, denn ihr Vater ist Uranus, das Meer ist ihre Mutter; sie wird nicht gezeugt, sondern erhebt sich aus dem Meeresschaum, den das herabstürzende Glied des Uranus verursacht hat, das sogar getrennt von dem Körper des Gottes noch genug Zeugungskraft für die Schönste unter den Göttinnen besaß. Von ihrem Vater behält Aphrodite den Traum des himmlischen Friedens, von ihrer Mutter stammt die Sehnsucht nach Verschmelzung. Ihr Drang, die Erde und alles, was auf Erden geschieht, zu Schönheit und Harmonie zu erheben, entsteht durch die erste Berührung des Festlandes auf der Insel Zypern, wo sie als Schaumgeborene an Land geht. Um des lieben Friedens Willen wird sie zur Kupplerin des Universums und geht Kompromisse ein, um den Himmel auf die Erde zu bringen. Da dies letztlich unmöglich ist, obwohl sie wieder und wieder versucht, auf Erden den himmlischen Frieden erfahrbar zu machen, zeigt sie sich mitunter auch als eitle Rächerin (siehe z. B. Amor und Psyche), um die Liebe zu ihr und die Verehrung ihrer Schönheit über den Schmerz zu erzwingen. Die Göttin vermählt sich mit Hephaistos, dem hässlichen hinkenden Schmied. Die Schönste und der Hässlichste sind ein Paar, um die Gegensätze vollständig zu überbrücken. Hephaistos ist ein Sohn der Hera. Weil er von Geburt an hässlich war, warf sie ihn aus dem Himmel und seitdem lahmt er. Dieses Schicksal „aus den Himmeln“- gestürzt zu sein, teilt er mit Aphrodite. Als eine aus der Einheit Gefallene, genügt ihr eine einzige Verbindung nicht, also ist sie dem hinkenden Gemahl nicht treu und geht zahlreiche andere Verbindungen ein. Gemäß einer astrosophischen Metapher steht am Aszendenten im Widder eine einsame Säule im Osten, und am Deszendenten in der Waage steht eine weitere Säule im Westen. Aphrodite ist es, die um jeden Preis diese beiden Säule zusammenführen will, was ihr in dem Liebesverhältnis mit Ares auch für kurze Zeit gelingt.

Der Charakter des Kriegsgottes Ares (röm. Mars) steht als Mythos hinter dem Widder. Ares ist die Verkörperung von Gewalt und Kriegslust. Mit Ares sind diplomatische oder gar psychologische Gespräche über seine kämpferische Natur nicht möglich, er kennt nichts anderes als die spontane Tat. Er versteht nicht zu relativieren, geschweige denn Einsicht zu üben, nur die Selbstbehauptung wird zum Vektor, die aus seiner inneren Ich-Dominanz nach außen prescht.

Wichtig für die Erlösung der Widder-Achse im Bewusstsein des Menschen ist, dass Aphrodite nicht versucht, Ares zu verändern, sie verbietet ihm das Kriegführen nicht, sie lockt ihn mit ihrem Charme und durch ihr Begehren in ihr Liebesbett. Er wiederum setzt sie nicht auf ein Pferd, um mit ihr gemeinsam in die Schlacht zu ziehen. Wir erkennen: Sie akzeptieren gegenseitig ihr Spielfeld und umschlingen sich in liebevoller Vereinigung.

Das Homerische Lachen auf der erlösten Achse

Doch schließlich werden Ares und Aphrodite von Hephaistos in flagranti überführt und unter ein eisern geschmiedetes Netz gebannt, weil er sie vor den anderen Göttern blamieren will. Nachdem alle Götter an dem Ort des Ehebruchs eingetroffen sind und Hephaistos triumphieren möchte, übernimmt eine überraschende Begebenheit die Regie: Die Götter brechen in schallendes Lachen aus. Dieses Gelächter ging als „das Homerische Lachen“ in die Geschichte ein. Dieses befreiende Lachen ist die beste Erlösung für alle Probleme auf den Achsen des Tierkreises. Es ist das Lachen aus der Weisheit, das ein Mensch über die Astrologie wahrlich erlernen kann.

Da beide, Ares und Aphrodite, verschiedenen Qualitäten angehören, müssen die Liebenden wieder getrennt werden. Die Erde ist der Ort des Krieges, darum darf Ares nur vorübergehend in den Armen der Liebe versinken und wird dann wieder in das rauhe Land Trakien geschickt, das seiner Wesensart entspricht. Liebe auf Erden kann nicht ewig sein, ewig ist sie nur im Himmel, weshalb Aphrodite nach Zypern geschickt wird, um ihren Dienst an der Verschönerung der Welt wieder aufzunehmen.

So darf auch der Widder wieder in seine Aktivitäten zurückkehren, die Waage hingegen sollte damit beginnen, den Geist im Menschen zu stärken. Denn wo der Geist wohnt, zieht auch der Himmel ein. Und wenn er eingezogen ist, hat der Widder dort seinen Platz. Von Ares und Aphrodite können Widder und Waage viel lernen, denn unterschiedliche Kinder gehen aus der Verbindung hervor. Anteros, der Gott der verschmähten, unerwiderten Liebe ist ein unerlöster Spross. Im Übergang zur erlösten Form steht Eros, der Liebesgott mit Pfeil und Bogen, der für Liebe und Verwirrung gleichermaßen sorgt. Die gelungenste Manifestation der Verbindung erblicken wir in Harmonia, der Göttin der Eintracht.

Gabriele Quinque

Gabriele Quinque
 

Auf der Grundlage langjähriger Erfahrungen in Initiatenorden gründete sie im Jahr 2000 gemeinsam mit anderen Gefährten den FMG-Förderkreis für Mythologisches Gedankengut, der sich die Aufgabe stellt, tradierte Mythen zu bewahren und die Weisheit der Älteren Brüder im dazugehörigen Templum C.R.C. durch ein Einweihungssystem in der Tradition der Gold- und Rosenkreuzer lebendig zu halten. Mit allen Aktivitäten äußert sie das Anliegen, in jedem Mann und in jeder Frau eine geistige und religiöse Orientierung zu fördern.

  • Gabriele Quinque sagt:

    Liebe Frau Moschner, es freut mich, wenn meine Gedanken zu den Ihren in Resonanz schwingen. Unser Gemüt bedarf wohl einer tiefgreifenden Wahrheit, um in einer oftmals zu oberflächlichen Welt den inneren Halt zu festigen. In diesem Sinne herzliche Grüße, Gabriele Quinque

  • Dagmar Moschner sagt:

    Das ist genau das Wissen, das mich fasziniert und interessiert. Extrem spannend und lehrreich.

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