Margarete – die Perle der Seele
Der Name Margarete zeigt sich in etlichen Nebenformen: Margarita, Magrit, Margit, Marga, Margot, Meta, Merit, Meret, Grete, Gesche und Rita. Um die tieferen Geheimnisse des Margarete-Weges zu finden, lohnt es sich zunächst, das lat. Wort margarita zubetrachten, das Perle heißt. Die Perle entsteht durch den Druck eines Fremdkörpers in den Weichteilen der Muschel. Was also einst wegen seiner bizarren Form Schmerz auslöste, wurde schichtweise mit Perlmutt umhüllt und wandelte sich auf diese weise zu einem runden schimmernden Kleinod von himmlischer Schönheit.
Perlen gleichen einerseits den Tränen des weiblichen Prinzips, das um die aus dem Paradies gefallene Einheit trauert. Andererseits jedoch gehört der überirdische Glanz einer einzigen Perle in die Analogiekette aller Glöttlichkeit. In dieser doppelten Symbolik liegt der Auftrag, der weiblichen Spiritualität auf die Spur zu kommen. Der Name beginnt ganz weich mit der Silbe Ma, die an das Mutterhafte im Weiblichen anknüpft, jedoch ganz so anschmiegsam geht es nicht weiter, das rollende R wendet das Schicksalsrad und reißt das Lunare in das Solare empor. Der letzte Konsonant T zeigt den absoluten Willen zur Umkehr. Gemäß dieser Buchstaben-Symbolik führt der Margarete-Pfad auf irgendeiner Ebene der irdischen Wirklichkeit wohl stets in die Mutterrolle, und wahrscheinlich wird dieser hütende, hegende, und pflegende Auftrag des Weiblichen gerne mit Leben und Echtheit ausgefüllt. Hinzu kommt jedoch ein tiefsitzender Impuls in Margarete, der noch Vater-Qualitäten in sich selbst entwickeln und für eine höhere Überzeugung das Tau-Kreuz-Opfer auf sich nehmen will.
Die Perle der Seele entspricht der verborgenen Erkenntnis, die wie ein Blitz aus dem Himmel in die Muschel einschlägt und daraus langsam die höhere Weisheit heranwachsen lässt. Dieses große Wissen drängt eines Tages aus der Muschel hinaus, verlässt das Wasser um ein vergeistigteres Leben zu führen. Vielleicht vermählt sich eine Perle mit Gold und wird zum Schmuckstück, vielleicht gesellt sie sich mit anderen zu einer schimmernden Kette, oder sie wird eine von den vielen, die den Rosenkranz bilden, der den Betenden in die Obhut Gottes bringt. Wo auch immer der Weg der Perle hinführt, sie gewinnt stets neue Zuversicht aus sich heraus, weil sie nur wenig Licht von außen braucht, und sofort beginnt sie zu leuchten und zu glänzen. Schönheit und Mut begleiten darum den Weg der Perle. In einer gnostischen Legende namens Hymnus der Seele oder Lied von der Perle (apokryphe Thomasakten) liegt sie in einem tiefen Brunnen mitten in Ägypten, in der Zweiheit, versunken und wird bewacht von einem Drachen, gleichsam dem verkörperten, weiblichen Anteil der Seele. Aus den oberen Himmelsregionen senden die solaren Mächte einen jugendlichen Pilger, der die Perle aus den Fängen des Ungeheuers befreien und wieder hinaufbringen soll. Aber leider lässt er sich in Ägypten ganz von der Welt des Irdischen gefangen nehmen und vergisst seinen Auftrag. Erst durch mehrere Sendschreiben aus dem Himmel erwacht der Pilger und erinnert sich wieder an die Perle, und eines Tages gelingt es ihm, dem Drachen im Brunnen die Perle zu stehlen und sie wohlbehalten heim in das Reich seines Vaters zu bringen. Wenn also Margarete das Gefühl hat, im Brunnen zu liegen und von einem Drachen bewacht zu werden, sich also in der materiellen Welt verstrickt hat, kann sie sicher sein, es erfüllt sich auch der zweite Teil der Geschichte, und ihr innerer solarer Anteil, in Gestalt des Buchstabens R, wird sie eines Tages daraus emporheben.
Der Mythos der heiligen Margarita
Wie die Geschichte der Perle, so zeigt auch die Schutzheilige Margarita, die zum 21. Juli gehört, jenes Überwinden des Drachen. Margarita ist die Tochter eines heidnischen Priesters. Nachdem frühen Tod ihrer leiblichen Mutter wird sie von einer Amme christlich erzogen und lebt als Jungfrau schließlich wieder im Haus ihres leiblichen Vaters. Das Christentum dringt also in ihr Inneres wie ein Blitz, und Margarita kann es nicht mehr lassen, den heimlichen Versammlungen der Christen beizuwohnen. Dort hört sie von der Verfolgung derer, die der neuen Religion angehören. Und sie empfindet tiefes Mitleid mit den Gemarterten und bewundert die übernatürliche Stärke der Opfer. Inständig bittet sie darum, ebenso stark sein zu können, wenn der Arm der Widersacher auch sie ergriffe, so wolle sie den Namen Christi nicht verleugnen. Indessen wird der Vater der Abtrünnigkeit seiner Tochter gewahr, und nachdem sie ihren Grundsätzen trotz seiner Bitten abzuschwören treu bleibt, schickt er sie auf ein entlegenes Landgut, um ihren Starrsinn mit Sklavenarbeit zu brechen. Dort wird sie nun wie eine gemeine Magd behandelt. Nach einiger Zeit reitet der Präfekt an jener Weide entlang, wo sie die Schafe hütet, und der Mann ist betroffen von ihrer Schönheit und Lieblichkeit. Gegen ihren Willen lässt er sie in die Stadt bringen, und sogleich offenbart sich die Jungfrau als Christin. Der Präfekt würde sie retten, wenn Margarita ihrer Überzeugung abschwören würde. Da sie standhaft bleibt und nicht leugnet, ergeht der Erlass zur Folterung. Margarita erfährt nun selbst die Marter und erträgt gleichsam den Schmerz, der von der Intoleranz Andersdenkender ausgelöst wird. Schließlich liegt sie als Gefangene auf faulem Stroh, zerschunden und allein. Sie betet um Kraft und Stärkung zum Sieg über den Feind. Da erscheint plötzlich ein furchtbarer Drache in ihrem Kerker, der sich auf sie stürzen will, um sie zu verschlingen. Äußerst mutig erhebt sich Margarita und schlägt das Zeichen des Kreuzes über den Drachen. Der Drachen sinkt zu Boden, und sie setzt triumphierend ihren Fuß in den Nacken des Scheusals. Die Siegeskrone ist ihr sicher, denn der ganze Kerker erhellt sich in hellem Glanz. Durch die Überwindung des Drachen hat sich Margarita in das Ewige Leben gerettet.
In diesem Mythos vollzieht sich der Auftrag, ganz bis in die dunkelsten Kammern der Erde absteigen zu müssen, dann aber wie eine Perle zu glänzen und den Weg in das Himmlische Reich zu finden. Vielleicht verpflichtet der Name Margarete zu dieser spirituellen Loyalität. Wie groß die Versuchungen der Verleumdung auch sein mögen, sie muss standhaft bleiben, ihr inneres Heiligtum stets verteidigen, hart und schön gleichermaßen sein – eben ganz so sein wie eine Perle.
Das Lied von der Perle, Thomasakten 108-113
Als ich ein kleines Kind war und in meinem Königreiche, in meinem Vaterhause, wohnte und mich erfreute am Reichtum und an der Pracht meiner Erzieher, entsandten mich meine Eltern vom Osten, unserer Heimat, nachdem sie mich ausgerüstet hatten. Und aus dem Reichtum unseres Schatzhauses schnürten sie mir eine Last zusammen, groß, doch leicht, so daß ich sie allein tragen konnte: Gold vom Hause der Hohen und Silber vom großen Gazak, Chalzedone aus Indien und Achate vom Reiche Kuschan. Und sie umgürteten mich mit dem Diamant, und sie zogen mir das strahlende Gewand aus, das sie mir in ihrer Liebe gemacht hatten, und die purpurne Toga, die nach dem Maße meiner Gestalt gewebt war. Und sie schlossen mit mir einen Vertrag und schrieben ihn mir in mein Herz, damit er nicht in Vergessenheit gerate: „Wenn du nach Ägypten hinabsteigst und die Perle bringst, die in der Mitte des Meeres ist, das der zischende Drache umschließt, dann sollst du dich wiederum in dein strahlendes Gewand und in deine Toga kleiden, die darauf liegt, und sollst mit deinem Bruder, unserem Zweiten, Erbe in unserem Reiche sein.“
Ich brach auf vom Osten und stieg hinab, geleitet von zwei Wächtern, denn der Weg war gefährlich und schwierig und ich war zu jung, ihn zu gehen. Ich durchschritt das Gebiet von Maischan, dem Treffpunkt der Kaufleute des Ostens, und kam zum Lande Babel und betrat die Mauern von Sarbug. Ich stieg hinab nach Ägypten und meine Gefährten verließen mich. Ohne Umweg ging ich zum Drachen, nahm Wohnung nahe bei seiner Stätte, bis er schlummern und schlafen würde und ich die Perle ihm wegnehmen könnte. Und da ich völlig allein und den Mitbewohnern meiner Herberge ein Fremder war, erblickte ich dort einen Mann meines Stammes, einen Edelmann aus dem Osten, einen schönen und anmutigen Jüngling, einen Sohn Gesalbter; und er kam und hing mir an; ich machte ihn zu meinem Freund und meinem Gefährten und ließ ihn teilhaben an meinem Handel. Ich warnte ihn vor den Ägyptern und vor den Beziehungen zu den Unreinen. Ich aber bekleidete mich mit ihren Gewändern, damit sie nicht gegen mich Verdacht schöpften, ich sei von auswärts gekommen, um die Perle zu nehmen, und damit sie nicht den Drachen gegen mich aufweckten.
Aus irgendeinem Grunde jedoch bemerkten sie, daß ich nicht einer der Ihren war. Und sie näherten sich mir listigerweise und gaben mir ihre Nahrung zu essen.
Ich vergaß, daß ich ein Königssohn war, und diente ihrem König. Und die Perle vergaß ich, um derentwillen mich meine Eltern entsandt hatten; und durch die Schwere ihrer Speisen versank ich in tiefen Schlaf.
Aber all dies, was sich mit mir begab, ward meinen Eltern kund und sie trauerten meinetwegen. Und in unserem Königreiche wurde verkündet, daß ein jeder zu unserem Tore komme: Die Könige und Häupter von Parthien und alle Großen des Ostens; und meinetwegen faßten sie einen Entschluß, daß man mich nicht in Ägypten lassen solle. Und sie schrieben einen Brief an mich, und jeder Große unterfertigte ihn mit seinem Namen:
Von deinem Vater, dem König der Könige, und deiner Mutter, der Herrin des Ostens, und von deinem Bruder, unserem Zweiten, dir, unserem Sohne in Ägypten, Gruß.
Auf, erhebe dich von deinem Schlaf und höre auf die Worte unseres Briefes. Erinnere dich, daß du ein Königssohn bist. Siehe die Versklavung, siehe wem du dienst! Gedenke der Perle, derentwegen du nach Ägypten geschickt wurdest! Erinnere dich deines strahlenden Gewandes und deiner prächtigen Toga, die du tragen sollst und mit der du geschmückt sein sollst, daß im Buche der Starken dein Name gelesen werde! Und mit deinem Bruder, unserem Stellvertreter, zusammen sollst du Erbe in unserem Reiche sein!
Der Brief war ein Brief, den der König mit seiner Rechten versiegelt hatte vor den Bösen, den Leuten von Babel und den wilden Dämonen von Sarbug. Er flog wie ein Adler, der König der Vögel. Er flog und ließ sich neben mir nieder, als ganzer wurde er Wort. Bei seiner Stimme, dem Geräusch seines Rauschens, erwachte ich und erhob mich von meinem Schlaf; ich nahm ihn auf und küßte ihn und löste sein Siegel und las. Ganz so wie in meinem Herzen aufgezeichnet, waren die Worte meines Briefes geschrieben. Ich entsann mich, daß ich ein Königssohn sei und daß meine Freiheit nach Verwirklichung dränge. Ich erinnerte mich an die Perle, um derentwillen ich nach Ägypten gesandt worden war, und ich begann den laut schnaubenden Drachen zu beschwören. Ich versenkte ihn in Schlummer und Schlaf, da ich den Namen meines Vaters über ihm aussprach und den Namen unseres Zweiten und den meiner Mutter, der Königin des Ostens.
Und ich ergriff die Perle und wandte mich um, in mein Vaterhaus zurückzukehren. Und ich zog ihr schmutziges und unsauberes Gewand aus und ließ es in ihrem Lande zurück. Und ich nahm meinen Weg zum Licht unseres Landes, zum Osten. Und meinen Brief, meinen Erwecker, fand ich auf dem Wege vor mir; wie er mich durch seine Stimme geweckt hatte, so führte er mich nun mit seinem Lichte. Auf chinesischem Stoff mit Rötel geschrieben, mit seinem Aussehen vor mir strahlend, mit der Stimme seiner Führung gab er mir Mut und zog mich mit seiner Liebe; ich zog vorwärts und durchquerte Sarbug. Ich ließ Babel zu meiner Linken und gelangte zum großen Maischan, zum Hafen der Kaufleute am Ufer des Meeres.
Und das strahlende Gewand, das ich abgelegt hatte, und meine Toga, die es umhüllte, hatten meine Eltern von den Höhen Hyrkaniens durch ihre Schatzmeister hierhergesandt, die wegen ihrer Treue damit betraut wurden.
Und wiewohl ich mich nicht seiner Würde entsann – denn ich hatte doch mein Vaterhaus in meiner Kindheit verlassen –, so wurde das strahlende Gewand doch plötzlich, als ich es mir gegenüber sah, wie mein Spiegelbild mir gleich. Ich sah es gänzlich in mir und ich sah mich in ihm mir gegenüber, denn wir waren zwei in Verschiedenheit und doch wiederum eins in einer Gleichheit.
Und auch die Schatzmeister, die es mir gebracht hatten, sah ich in gleicher Weise: Sie waren zwei und doch waren sie gleich an Gestalt. Denn ein Siegel des Königs war auf sie gedrückt, dessen, der mir meinen Schatz und meinen Reichtum durch sie zurückstellte, mein strahlendes Gewand, geziert mit der Pracht herrlicher Farben, mit Gold und mit Beryllen, Chalzedonen und Achaten und mit verschiedenfarbigen Sardonen. Es war in seiner Erhabenheit angefertigt worden, mit Diamantsteinen waren alle seine Nähte befestigt,
und das Bild des Königs der Könige war in voller Größe überall aufgemalt; Saphirsteinen gleich waren seine Farben gewirkt.
Ich sah, daß in seinem ganzen Umfang die Bewegungen meiner Erkenntnis aufzuckten, und ich sah, daß es sich bereitmachte wie zum Sprechen. Ich hörte den Laut seiner Melodien, die es flüsterte bei seinem Herabkommen: „Ich gehöre zum hurtigsten Diener, den sie vor meinem Vater großgezogen haben, ich habe in mir verspürt, daß meine Gestalt mit seinen Werken wuchs.“
Und mit seinen königlichen Gesten streckte es sich mir entgegen und es eilte an der Hand seiner Überbringer, daß ich es nähme. Und auch mich trieb meine Liebe an, ihm entgegenzueilen und es zu empfangen. Und ich streckte mich hin und empfing es. Mit der Pracht seiner Farben schmückte ich mich und ich hüllte mich ganz in meine Toga von glänzenden Farben. Ich kleidete mich in sie und stieg auf zum Tor der Begrüßung und der Anbetung.
Ich beugte mein Haupt und verehrte den Glanz meines Vaters, der es mir gesandt hatte, dessen Befehle ich befolgt hatte, so wie auch er tat, was er verheißen hatte; und am Tore seiner Satrapen gesellte ich mich zu seinen Großen, denn er hatte Wohlgefallen an mir und nahm mich auf, und ich war mit ihm in seinem Reiche. Und beim Klange von Wasserorgeln priesen ihn alle seine Diener dafür, daß er verkündete, daß ich zum Tore des Königs der Könige gehen solle und mit der Opfergabe meiner Perle mit ihm zusammen vor unserem König erscheinen solle.