Amor und Psyche – ein Trance-Märchen für Erwachsene
Zur Zeit der tiefsten Mitternacht
sah ich die Sonne in ihrem hellsten Licht leuchten;
ich schaute die unteren und oberen Götter
von Angesicht zu Angesicht
und betete sie in der Nähe an.
– Lucius Apuleius –
Zu den antiken Hauptwerke gehören die „Metamorphosen“ von Lucius Apuleius (124-180 n.Chr.), die heute unter dem Titel „Der Goldene Esel“ aus dem lateinischen übersetzt und veröffentlicht sind. Darin wird ein Jüngling in einen Esel verwandelt, dem aus der Sicht des Vierbeiners unzählige menschliche Schwächen bewusst werden, bis er durch die Isis-Weihen seine menschliche Gestalt wiedererlangt. Bereichert um wunderbare Erkenntnisse, die ihm auf seinem Weg zuteil wurden, gelangt er am Schluss der Erzählungen an die Pforte noch größerer Mysterien, die Osiris unterstehen und die der Dichter nur andeutet.
Der Römer Apuleius bekundet, seine Geschichte gehe auf eine verschollene griechische Vorlage zurück. In jenem Verweisen auf geheime ältere Quellen gibt sich Apuleius als Autorität der Einweihungstradition zu erkennen. Dieses literarischen Kunstgriffes bedienen sich Romanautoren zu jeder Zeit gerne, wenn es ihnen darum geht „Unaussprechliches“ in ein mythisches Gewand zu hüllen, das der Verstand zwar recht bald verwirft, die Aufmerksamkeit der Seele hingegen jedoch zu erwecken vermag. Wenn Apuleius dem Leser gleich in der Einleitung zuruft: „Merke auf, es wird zu lachen geben!“, dann bezieht sich diese Aufforderung vordergründig auf seinen amüsanten Erzählstil, mehr noch aber auf jene wahre innere Freude, wie sie der Mensch nur empfinden kann, wenn sich seine Seele wieder ihrem Heimatort zugewandt hat: dem Himmel!
Die gesamte Dichtung enthält verschlüsselte Anweisungen für die Anbindung der Seele an eine metaphysische Welt, die sich in dem eingefügten Märchen „Amor und Psyche“ zu einer Botschaft besonderer Tragweite verdichten. Vielleicht liegt in dem intuitiven Wissen um eine darin wirksame „Symbol-Arznei“ für die Gesundung der Seele einer der Gründe, weshalb unzählige Künstler sich von der romantischen Fabel inspirieren ließen und diese in Skulpturen, Gemälden, Musik und Ballett zu vollendeter Formschönheit aufbereiteten. Der inneren Freude wegen!
In den Anfangsworten „Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten drei Töchter von großer Schönheit“, offenbart sich der Archetyp aller Märchen. Die Seele wird in den Märchen immer als Tochter des in die Form geronnenen dualen Geistprinzips „König und Königin“ dargestellt.
Heutzutage verbannt man die Seele allzu gern in das moderne Weltbild, d.h. man psychologisiert sie und bringt sie ausschließlich mit der Empfindungsfähigkeit ihres irdischen Anteils in Verbindung. Viele Menschen glauben darum, die Seele belebe lediglich den Körper und führe allenfalls eine gewisse Stimmung herbei, schaffe ein Klima der Gefühlswelt, und man müsse nun dafür sorgen, dass das Leben des Menschen möglichst reibungslos vonstatten ginge, damit sich das begehrte „Wohlfühlen“ der Psyche einstelle. Wäre dem so einfach, müssten die durch Psychotherapie erlangten Erfolgsquoten bei Depressiven ungleich höher liegen als dies die Praxis unter Beweis stellt, denn konfliktfrei versucht man ihnen das Leben zur Genüge zu machen! Wenden wir uns den Religionen zu, so wird uns dort freilich erklärt, der Konflikt läge vor allem darin, dass es weitaus mehr Seelenanteile gebe, die nicht mit eingekörpert seien und sich gleichsam „weiter oben“ befänden, wie dies alle Religionen mit ihren Himmelsregionen zum Ausdruck bringen; „weniger zugänglich für den stoffbezogenen Erdenanteil“ wäre hier für den Verstand eine besser erfassbare Aussage als der mythische Begriff Himmel. Zum Beispiel nennt man die Trinität der Seelen-Struktur im Hinduismus „Brahma, Vishnu, Shiva“, im Judentum „Neshamah, Ruach und Nephesch“. Für das Abendland lässt sich dies mit Gottseele, Geistseele, Leibseele übersetzen. Jene ungreifbaren Seelenschichten von Gottseele und Geistseele wohnen laut religiöser Weltanschauung nicht im Körper, sind aber damit verbunden und ersehnen eine Verbindung mit dem eingekörperten Teil, mit der Leibseele.
Alle Einweihungsströmungen, denen sich auch Apuleius zu Lebzeiten verpflichtet wusste und deren Glanz er in seinem Märchen aus den Tempelpforten scheinen lässt, versprechen ihren Mysten stets eine erfahrbare Durchdringung aller Seinsschichten. Dieser Vorgang ist bei Kindern während des Schlafes noch selbstverständlich, geht jedoch dem Erwachsenen proportional zu seiner fortschreitenden Bindung an die Physis verloren, bis er sozusagen ganz ein „Bruder Esel“ geworden ist, wie Lucius Apuleius die Absonderung der Leibseele humorvoll umschreibt.
Der Dichter bringt drei Schwestern in das Märchen hinein, um zu verdeutlichen, dass es widersprüchliche Anteile im Menschen gibt. Die älteren Schwestern verkörpern die beiden Säulen der belebten Materie, die Jüngste hingegen die innewohnende Leibseele. Beseelte Körperlichkeit zeigt sich auch in den erdzugewandten Schwestern als Anmut und Eleganz, die Lieblichkeit der dritten ist jedoch über Alles erhaben und mit Worten nicht mehr zu beschreiben. Sie heißt „Psyche“, also Atem, Hauch, Seele, und Apuleius beschreibt in ihr jene Seelenschicht, die weitere Schritte in die materielle Verdichtung nicht mitmachen kann. Denn im Märchen heißt es, die von dem Glanz der höheren Wirklichkeit überstrahlte Tochter erlangt wegen ihrer überirdischen Schönheit zwar große Berühmtheit, von überall her kommen Fremde herbei, heben ihre Arme in heiliger Verehrung und beten Psyche an, aber kein Königssohn freit wirklich um sie. Die beiden Schwestern sind längst mit königlichen Bewerbern reich vermählt, Psyche hingegen wird wie ein Kunstwerk behandelt, das aus Vorsicht unberührt bleibt. Und so bedauert Psyche ihre eigene Schönheit.
Mit dieser Symbolik teilt Apuleius seinen Lesern folgendes mit: Für die Leibseele kommt irgendwann der Tag der Umkehr, sie muss einen Weg finden, der es ihr wieder ermöglicht, sich der Geistseele anzunähern, doch hat sie vergessen, wie sie dies erreichen könnte. Die Leibseele besitzt die himmlische Reinheit nicht mehr, da sie von den Schlacken des Erdenlebens durchdrungen ist. Deshalb lebt sie in dem Zwiespalt, oben oder unten wohnen zu wollen und verfällt in den Seelenschmerz des Andersseins. Zudem zieht sie Ablehnung und Neid aus den eigenen gröberen Bereichen des irdischen Daseins auf sich. Der Weg mit all den Prüfungen, die Apuleius in seinem Märchen aufzeigt, dient der Reinigung der sogenannten „Restschmutz“-Anteile aus der Leibseele. Dafür gibt es in den Initiatenschulen aller Zeiten – heute wie zu Apuleius-Zeiten – Rituale und Kontemplationstechniken, die von den Mysten unter Anleitung der Mystagogen durchgeführt werden.
Das Märchen berichtet weiter, dass wegen der Verehrung Psyches die Tempel der Liebesgöttin Venus verlassen sind, schon stehen die Bildsäulen der Göttin unbekränzt, und erkaltete Asche liegt auf ihren Altären. Venus entsetzt sich darüber und bringt in Erfahrung, dass die Verherrlichung der jüngsten Königstochter Schuld daran trägt. Da die Schaumgeborene die Bevorzugung einer Erdgeborenen nicht zulassen kann, muss Venus eingreifen und sinnt auf Vergeltung. Die Göttin ruft ihren geflügelten Sohn Amor herbei, der sogleich anfliegt und sich gehorsam an ihrer Seite niederlässt. Amor ist ein Sohn aus ihrer Liäson mit dem Kriegsgott Mars.
In Amor zeigt sich einerseits der sinnliche Liebreiz seiner Mutter, andererseits hat der zügellose Charakter des Vaters in einer unerhörten Keckheit überlebt. Liebe und Schmerz wohnen bekanntlich dicht beisammen, darum ruft man ihn auch bei dem Namen Cupido, der Leidenschaft bedeutet. Und so bereitet es Amor große Freude, des Nachts durch die Herzen der Menschen zu brausen, um Liebesflammen hier und dort zu entzünden. Nicht selten zerstört er mit seinen Liebespfeilen den Frieden der Gemüter, denn Amor hält sich nicht an die irdischen Gesetze von Anstand und Vernunft. Für den Gott der Liebe gelten weder Eheverträge noch Treueschwüre, er hat ein unbändiges Vergnügen daran, die Karten immer wieder neu zu mischen.
Venus verlangt also eigentlich nichts Unmögliches, wenn sie befiehlt: „Ich beschwöre dich bei der mütterlichen Liebe, bei den süßen Wunden deines Pfeiles, bei der sanften Glut jener Flamme, verschaffe Rache, aber volle Rache deiner Mutter und bestrafe die trotzige Schönheit…!“
Amor soll die Prinzessin Psyche in heißer Liebe zu dem niedrigsten Mann entbrennen lassen, den das Schicksal zu Armut und Elend verdammt hat. Nachdem Venus ihre Anordnung vorgebracht hat, liebkost sie ihren Sohn mit heißen Küssen und wendet sich einem genüsslichen Bad im Ozean zu, da sie auf die gewissenhafte Ausführung ihrer Befehle vertraut.
Der König sorgt sich indessen wegen des Ruhmes seiner Tochter und befragt das Orakel zu Delphi, um sein Land nicht dem Neid der Götter auszusetzen. Die Pythia empfiehlt ihm, er solle zur Abwendung göttlichen Zornes seine Tochter Psyche auf einer Bergspitze aussetzen. Dort würde sie einem bösen Ungeheuer preisgegeben und damit den materiellen Kräften anheimfallen. Damit soll Schaden von dem Land abgewendet werden. Das Orakel versetzt den König in große Trauer, aber Psyche ist bereit, das abverlangte Opfer auf dem Berg darzubringen und das irdische Leben aufzugeben. Also hüllt sie sich in dunkle Brautgewänder. Ohne auch nur einen einzigen Blick des Bedauerns zurückzuwenden schreitet sie unter trauerndem Gefolge, wie zu ihrem eigenen Begräbnis, dem Berg entgegen. Und ganz allein erklimmt Psyche schließlich den Gipfel. Als sie ganz oben angekommen ist, verlöschen die Lichter in der Tiefe. Finsternis umgibt die Jungfrau, die gefasst den Dämon erwartet.
Jede höhere Berufung führt am Anfang immer in die Finsternis. Auf dem Hintergrund dieses Wissens schickt man den Mysterienkandidaten in die symbolische Nacht. Es sind die schwarzen Kammern der Selbsterkenntnis, die düsteren Hallen verlorener Schritte, wo den Kandidaten das Grauen erfasst, weil tiefe Dunkelheit ihn umgibt, worinnen er das Absterben einiger seiner irdischen Wünsche erleben soll. Erst von dort aus eröffnet sich ein Pfad, der vorher ganz und gar unbekannt war. Der profane Mensch, dem diese Geheimnisse fremd geblieben sind, erlebt an den Schwellen der Umkehr die Schwere des Schicksals als Verlust oder Krankheit, die ihn ebenfalls zwingen, in die Ohnmacht zu gehen und die Finsternis zu durchwandern. Nur leider erkennt der Betroffene selten, wie sehr sein Unwohlsein einem Hilferuf der Seele entspringt: Es ist eigentlich die trauernde „Tochter Psyche“, seine Leibseele, die sich dem Leidenden kundtut, da sie keine Freude an einem Erdenleben findet, in dem ihr der Zugang zu ihrer wahren Heimat versagt bleibt.
Wer die Erfahrung der Finsternis bewusst durchwandert, erblickt am Ende des Tunnels wieder neues Licht. Auch für Psyche kommt es auf der Bergspitze anders als vermutet. Kein Dämon reißt sie in die Höllenschlünde hinab, sondern der Liebesgott Amor entführt sie mit Hilfe von Zephyrus, dem feuchten, sanften Westwind. Dieser legt Psyche in den Schoß blühenden Rasens, wo sie sogleich in erholsamen Schlaf gleitet. Und bald erwacht sie in einem Heiligen Hain, den eine murmelnde Quelle belebt, und erblickt einen prachtvollen Palast, der nicht von Menschenhand errichtet wurde. Psyche erkennt ihn sogleich als die herrliche Wohnstatt eines Gottes. Die Decken aus Zedernholz und Elfenbein werden von goldenen Säulen gestützt, an den Wänden schimmern silberne Bilder, auch die Bodenmosaike zeigen wunderschöne Gemälde. In diesem Palast badet und speist Psyche und erfährt die Pflege von unsichtbaren Händen, während eine Stimme sanft mit ihr spricht.
Schöner hätte Apuleius es nicht beschreiben können, wie ein Mystagoge der Isismysterien die Imagination seines Mysten induziert und begleitet. Auch die Worte: „Was staunst du, Herrin, über diese Dinge? Sie sind alle dein,“ verweisen auf das Erleben innerer Bilder im Seelenflug oder Tempelschlaf. Lieblicher Gesang ertönt, unsichtbare Musikinstrumente erklingen, und als es Nacht wird, begibt Psyche sich zu Bett. Bald darauf erscheint Amor und vermählt sich mit ihr, leicht und fein, voller Inbrunst und himmlischer Leidenschaft, wie dies allein der Gott aller Erotik vermag. Schon als er Psyche auf dem Berg erblickt hatte, entbrannte er in Liebe für das Mädchen; offenbar erkannte er sogleich, sie ist ein Teil von ihm. Nacht für Nacht wiederholt sich der erhabene Liebesakt, und auch Psyches Herz entflammt sich immer mehr für ihren unsichtbaren Gemahl.
Amor übernimmt in dieser Legende die Gestalt der Geistseele, des himmlischen Bräutigams der verkörperten Seele, den göttlichen Funken im Menschen. Diese Instanz, in der sich höhere Weisheit offenbaren möchte, bleibt anfangs immer unsichtbar und dringt dennoch tief in die Seele ein, wenn die Gelegenheit dazu besteht.
Aber trotz all der Annehmlichkeiten fühlt sich Psyche tagsüber sehr einsam. Überwältigt von ihren Liebkosungen erlaubt Amor ihr nach langem Drängen, die Schwestern Psyches einmal in den Palast zu holen und ihnen Gold und Schmuck zu schenken. Die beiden Schwestern sind Vertreter erdverhafteter Persönlichkeitsanteile im Menschen. Die Begegnung mit ihnen lässt sich nicht vermeiden, bringt aber für die erhabenen Anteile stets Unfrieden mit sich.
Sobald das höhere Selbst in einem Menschen versucht, den ganzen Raum zu ergreifen, also auch die unteren Triebe emporzuheben, beginnen massive Angriffe aus den stoffzugewandten Bereichen.
Die materiellen Kräfte müssen auf ihrer Grobheit beharren, sonst wäre es ihr Tod. Amor weiß um diese Mechanismen, weswegen er die Warnung ausspricht, Psyche solle sich auf keinen Fall von den Schwestern verleiten lassen herauszufinden, wer er sei. Großes Unheil würde ihr dadurch widerfahren. Was aus der Sicht der Geistseele wie Unglück aussieht, stellt nur das notwendige Mittel dar, durch das sich ein unvermeidbares „Reifungselend“ auslösen kann. Also kommt es, wie es kommen muss!
Unterdessen suchen die zwei Schwestern nach Psyche. Bis zur Felsenspitze wagen sie sich vor und bejammern den Verlust. Zephyrus aber erhebt sie in die Lüfte und bringt sie zu der Wohnstatt Psyches, das in dem Gewölk zwischen Raum, Zeit und Ewigkeit liegt.
Zunächst herrscht Wiedersehensfreude. Aber als die Schwestern gewahr werden, in welcher Pracht und Glorie Psyche zu Hause ist, empfinden sie ihr eigenes Leben an den Königshöfen der Erde dem gegenüber gering und reagieren mit heftigem Neid, den sie aber noch verbergen. Psyche schöpft keinen Verdacht und beschenkt sie reich, ehe der Wind sie zurück trägt.
Kaum richtig daheim angekommen, bricht der Neid der niederen Persönlichkeitsanteile voll auf, und die Schwestern planen Psyches Verderben.
Nachts erscheint wieder der Gott in Psyches Armen und verspricht ihr, sie würde ein göttliches Kind zur Welt bringen, wenn sie seine Gestalt im Dunkeln ließe. Das göttliche Kind symbolisiert in allen Kulturen das höchstmögliche Bewusstsein im menschlichen Dasein, das nur über die Mysterien zu erlangen ist.
Die Schwestern finden noch zweimal Einlass in den Palast und stellen immer häufiger die bohrende Frage: „Wer ist dein Gemahl?“ In ihrer Verzweiflung, die volle Wahrheit selbst nicht zu kennen, erfindet Psyche Beschreibungen, die sich einander widersprechen.
Hier zeigt sich die Unsagbarkeit initiatischer Geheimnisse, die zutiefst erfahrbar sind, sich aber allen Beschreibungen der intellektuellen Welt entziehen. So vermag beispielsweise ein persönlich durchwanderter Trance-Mythos dem Einzelnen viel bedeuten, versucht er jedoch seine innere Bewegung in verständliche Worte zu kleiden, wirkt alles schnell ein wenig närrisch und logisch nicht mehr nachvollziehbar.
Die Verunsicherung Psyches nutzen die Schwestern aus und suggerieren ihr, sie habe eine böse Schlange im Bett, die sich nur verstelle und sie bald mitsamt dem Kind töten würde, und sie sollte besser ein Licht und ein Messer mit in ihr Nachtlager nehmen, um dem Dämon ein Ende zu setzen. Die Erdkräfte spüren es instinktiv, die Abtötung des göttlichen Funkens wäre für lange Zeit die Unterbrechung der geistigen Entwicklung und die Sicherung ihres eigenen Überlebens. Psyche fällt den hinterlistigen Machenschaften anheim, folgt den Ratschlägen niederer Gesinnung und nimmt Messer und Lampe mit in das Brautgemach. Sobald jedoch das Licht auf Amor scheint, erblickt sie die überirdische Schönheit des Gottes. Da fällt ein heißer Öltropfen aus der Lampe auf seine Schulter und verbrennt ihn. Amor fliegt verletzt davon. Psyche eilt ihm nach, aber er tadelt sie gekränkt von der Höhe der Baumwipfel aus. Vor Reue stürzt sich Psyche in einen Fluss. Weil die Leibseele jedoch Vereinigung mit der Geistseele erfuhr, ist sie unsterblich geworden. Darum ertrinkt Psyche nicht und wird wieder an Land gespült. Am Flussufer begegnet sie dem bockshufigen Hirtengott Pan. Durch ihn wird sie an das höchste Ziel, das Pantheon, erinnert und sie folgt seinem wohlmeinenden Rat, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen und wandert bis zu einer Stadt.
Dort herrscht der Gemahl einer ihrer Schwestern. Psyche kommt als Gast an den Königshof und reagiert ihrerseits mit einer List auf das, was die Schwestern ihr angetan haben. Der Zweck heilig die Mittel! Psyche behauptet, Amor wolle aus Rache nun jene Schwester zur Gemahlin nehmen. Diese reist umgehend zu dem besagten Felsen und hofft, von dem Wind Zephyrus aufgenommen zu werden. Freilich fällt sie tot hinab. In der Hoffnung auf ein ähnliches Schicksal wie Psyche stürzt sich auch die andere Schwester von derselben Bergesspitze zu Tode.
Die grobstofflichen Begierden können an dem Weg der Vergeistigung nicht teilhaben und fallen ab wie welkes Laub. In letzter Konsequenz erfährt das Körperliche stets den Tod, statt sich an der Unsterblichkeit der Seele mit erfreuen zu können.
Psyche leidet lange, denn der Gemahl bleibt ihr fern. Er liegt unter Schmerzen im Tempel der Venus. In dieser Zeit gibt es im ganzen Land keine Liebeslust, keine sinnlichen Scherze, keine feinen Liebeskünste und keine Hochzeiten; keine amourösen Geheimnisse lassen mehr die Busen wogen, und das Land verkommt in Schmucklosigkeit und Trübsinn.
Von einem weißen Vogel erfährt Venus von der heißen Liebe zwischen Amor und Psyche, gerät außer sich vor Zorn und verbietet allen Göttinnen der Unglücklichen zu helfen.
Psyche pilgert indessen zum Tempel der Ceres, wirft sich flehend vor die Göttin, erhält jedoch keine Hilfe. Dann gelangt sie zum Tempel der Juno, jedoch auch sie darf nicht gegen Venus vorgehen.
Psyche ist nun an einer Bewusstseinsstufe angelangt, wo sie das Gesetz der himmlischen Liebe aus eigener Kraft finden und erfüllen muss. Darum begibt sie sich zum Tempel der Venus, wo sie die Rache der Göttin zunächst körperlich erfährt, denn Venus zeigt sich auch hier ganz in ihrer Rolle der neidischen „Frau Welt“ und lässt sie von Dienerinnen mit Geiseln schlagen. Sie ist furchtbar wütend auf Psyche und denkt sich vier schwere Prüfungen aus, die Psyches Selbstwertgefühl vollends vernichten sollen. Zunächst soll Psyche sieben Getreidesorten scheiden, die in einem Raum vermischt am Boden liegen. Die sieben Sorten entsprechen den astrologischen Urprinzipien.
Unzählige Ameisen kommen ihr zu Hilfe und sortieren alles; was soviel heißt wie, hier helfen nur Fleiß und Struktur.
Danach soll Psyche Wolle holen von goldglänzenden Schafen, die in einem Hain grasen, doch sind sie durch die Hitze der Sonne sehr aggressiv geworden. Psyche traut sich diese Arbeit nicht zu und will sich von einem Felsen in einen Fluss stürzen. Aber eine Nymphe hält sie zurück und rät ihr, in der Mittagshitze, wenn die Schafe ruhen, in den Hain zu gehen und die Wolle von den Schilfrohren abzunehmen, an denen die Tiere im Vorbeistreifen ihre Haare lassen.
Schilfgras steht als Symbol für Demut und Treue, denn es wächst sofort nach, wenn man es schneidet. Darum schmückt es die Tempel an heiligen Festtagen. Diese zweite Prüfung verlangt demnach, religiösen Handlungen regelmäßig beizuwohnen.
Schließlich erhält Psyche ein kristallenes Gefäß und soll darin Wasser aus einer dunklen vergifteten Quelle holen, das in den Unterweltsfluss Styx fließt. Psyche besteigt schweren Herzens jenen Berg, wo das Unglückswasser entspringt, um einen Krug davon abzufüllen. Schon recken schleimige Drachen und Ungeheuer aus dem schwarzen Wasser die Hälse nach ihr, da fliegt der Adler des Jupiter herbei, nimmt den Krug, füllt ihn mit dem Quellwasser und bringt ihn zu ihr zurück.
Hier erlebt Psyche, wie die Erkenntnis adlergleich herbeifliegt und eine Schattenerlösung in den Bereichen der Verdrängung herbeiführt.
Aber auch diese Arbeit ist Venus noch nicht genug, sie verlangt noch Größeres und erteilt der Geplagten den Auftrag, ein wenig Schönheitssalbe von Proserpina aus der Unterwelt zu holen. Psyche glaubt lebendig nicht in das plutonische Reich gelangen zu können und will von einem Turm hinabspringen, aber dieser beginnt zu sprechen. Die Leibseele ist bereits von der Geistseele durchdrungen und im höheren Sinne lebendig, darum spricht der Turm, der die Ichnatur des Menschen versinnbildlicht, und erteilt ihr alles Wissen, das nötig ist, die Schattenwelt lebendigen Leibes und zielstrebig zu durchqueren.
Im Folgenden zeigt Apuleius die wichtigste Strecke des Initiationsweges auf, die darin liegt, sich nicht an der falschen Stelle zu verwickeln!
Auf der Wanderung durch die Unterwelt gilt es zunächst einem armen Eseltreiber auszuweichen, welcher die Hilfe erfleht, einige Stücke seines herabgefallenen Gepäcks aufzulesen.
Was in dem Kindermärchen „Frau Holle“ noch gut war, weil das Kind aufgefordert ist, am Brunnenrand des Lebens beherzt zuzugreifen und jedwede Hilfe zu leisten, kann auf dem Rückweg des erwachsenen Seelenweges zum Verhängnis werden, denn hier geht es darum, die Erdenbande wieder zu lösen. Folgende Gefahr lauert an jeder Wegbiegung: Die Reste materieller Illusion werden bis zuletzt versuchen den Endsieg davonzutragen und den Mysterienkandidaten von dem Pfad in die höhere Freiheit abzulenken, wo sie nur können.
Später, als Psyche bereits in dem Kahn des Fährmanns an das jenseitige Ufer gebracht wird, ist es ein toter Greis im Wasser, der Mitleid erregt, in den Nachen gezogen werden will und auf diese Weise in die Sphäre sinnloser Hilfeleistung verwickeln könnte.
Und auch hier muss Psyche den Willen zu einem klugen „Nein“ aufbringen. Schließlich folgen die drei Moiren und bitten um Hilfe bei ihrer Webarbeit. Jedoch auch die Schicksalsgöttinnen dürfen keine Macht mehr über die Leibseele ausüben. Denn die herangereifte Seele trägt ihr Schicksal freiwillig, wählt ihre Lebensbilder bei der Moire Lachesis selbst aus und lässt ihr geistiges Heimwärtsstreben davon niemals mehr beeinträchtigen.
Psyche widersteht allen Hindernissen, gelangt an die Schwelle des Totenreichs und füttert den dreiköpfigen Hund Cerberus mit Honigkuchen, wie es ihr der Turm geraten hat. Der Höllenhund weicht zur Seite und lässt sie eintreten. Darin zeigt sich, dass der Mensch auf dem Pfad der Einweihung die süßen Bequemlichkeiten und irdischen Genüsse (Honigkuchen) vorübergehend zugunsten des Eintritts in das Reich der großen Wandlung hergibt.
Vor der Unterweltgöttin Proserpina angekommen lehnt Psyche – wie es ihr geraten wurde – ein aufwendiges Mahl ab und nimmt nur trockenes Brot entgegen. Das gefällt Proserpina und sie füllt ein Kästchen mit ihrer Salbe ab und überreicht es Psyche. Voller Freude tritt Psyche den Rückweg nach der Anweisung des sprechenden Turmes an und gelangt tatsächlich wieder unbeschadet aus der Welt des Todes heraus. Aber Psyche, die Leibseele, ist weiblicher Natur, neugierig und eitel, wen wundert es also, dass sie in der verständlichen Hoffnung, ihren Gemahl Amor erneut betören zu können, ein wenig der Schönheitssalbe für sich selbst verwenden möchte. Vorsichtig öffnet sie deshalb das Kästchen mit der Schönheitssalbe der Proserpina, doch zu ihrem großen Erstaunen ist gar keine Salbe darin! Stattdessen fällt sie sogleich in einen stygischen Schlaf. Alle Trance-Therapeuten der letzten fünftausend Jahre können sich darüber freuen:
Die Wundersalbe Proserpinas kann weder Heilsalbe
oder Globoli, noch eine andere Rezeptur sein,
sie ist TRANCE.
Amor, der inzwischen genesen ist und leidenschaftliche Sehnsucht nach Psyche verspürt, erwirkte bei Jupiter die Heiratserlaubnis, gegen die sich Venus wegen des hierarchischen Ranges nicht zu stellen vermochte. Und Amor, der Gott der Liebe selbst, erweckt Psyche aus der Trance. Unter Beiwohnung des Pantheons wird endlich Hochzeit auf dem Olymp gefeiert. Amor und Psyche, Leibseele und Geistseele, sind wieder vereint und können gemeinsam eine noch höhere Symbiose mit der Allseele anstreben.
Das Kind beider wird FREUDE genannt,
Freude, die für immer bleibt,
weil sie der Begeisterung der Seele entspringt!
Gabriele Quinque