Platonische Liebe im Gastmahl von Platon

Platon

Als treues Vorbild für mein ganzes Streben
Schien von Geburt an mir der Stern des Schönen,
Malend und meißelnd bin ich ihm ergeben,
Und ich verschmähe es, anderem je zu frönen.
Durch ihn nur wird dem Blick die höhere Welt,
Die Ziel all meines Schaffens ist, erhellt.
Wehe jedem, der vermessen und verblendet
Die Schönheit nieder zu den Sinnen reißt –
Zum Himmel trägt sie den gesunden Geist!
Michelangelo Buonarroti nach A. Riehl (1912)

Der „Stern des Schönen“, den Michelangelo preist, ist Venus als Morgenstern; seit alters her gilt dieser als Symbol für jene Bereiche von Kunst und Liebe, die sich dem größeren Licht menschlicher Bewusstheit zuwenden. In der frühen Morgendämmerung prangt er als hellster Stern am Osthimmel und wird als Vorbote der aufgehenden Sonne gesehen. Für die Okkultisten gilt diese Signatur als Wegweiser in das Auferstehungslicht des Ostens und als Verheißung auf die Illumination der Seele durch solare Erkenntnisse, darum nannte sich auch der Hermetische Orden der Jahrhundertwende (1889) „Golden Dawn“, Goldene Dämmerung.

Kunst, Liebe und Metaphysik haben miteinander einen Bund geschlossen, da sie auf sehr positive Weise verwandelnd und empor tragend erfahren werden. Inspirierende Musik kann den Menschen ebenso auf Wolken schweben lassen wie der Liebende glaubt, im siebenten Himmel angekommen zu sein, und wahre Einweihung erhebt die Wahrnehmung hinauf in die Gefilde der Heiligkeit, wo für den Adepten das Durchdrungensein von platonischer Liebe mehr als nur ein Wort ist.

Der Begriff der platonischen Liebe geht auf den griechischen Philosophen Platon zurück. Dieser lebte 427-347 v. Chr. in Athen und hieß eigentlich Aristokles, aber wegen seiner breiten Stirn nannte er sich Platon (platós, breit). Er gründete in Athen seine eigene philosophische Schule und verlieh ihr den Namen „Akademie“, da sie sich in einem nach dem Heros Akademos benannten Lusthain befand. Seine Lehre stellte Platon in Gesprächen von dichterischer Schönheit dar, deren einer Partner immer Sokrates ist, da Platon dessen Schüler war und diesen sehr liebte und verehrte.

Platon stand mit den geistigen Größen seiner Zeit in Verbindung, er bereiste Unteritalien, Nordafrika und Ägypten, um philosophischen Austausch zu finden. Als er in seinen betagten Jahren das Lager seines Idealismus‘ auf die Politik ausdehnen wollte, fiel er in den Augen der Machthaber in Ungnade, wurde verfolgt und gelangte zeitweise sogar in Sklaverei. Er starb in seiner Akademie in Athen.

Viele Menschen verstehen unter platonischer Liebe eine Liebe ohne körperliche Sexualität, also so etwas wie eine „Josefs-Ehe“, in der man den Tisch miteinander teilt, jedoch nicht das Bett.

Im Gegensatz zu dieser verkehrten Ansicht beginnt die platonische Liebe ganz und gar bei einer erfüllten Körperlichkeit und erhebt sich von dort aus über mehrere Stufen bis in die höchste Ebene der Vollkommenheit. Daraus lässt sich die Vermutung ableiten, verschmäht jemand den Gott Eros im Körperlichen, dann fehlt ihm auch das gesunde Fundament für die feineren Formen der Liebe; bleibt andererseits die Erotik im Physischen stecken, wird Eros zu einem unschönen Gott und die Armut ist seine Mutter, wie Platon dies ausdrückt.

Folgendes Zitat zeigt die Erhebung des Sexus in einem modernen Bild auf:

Schlichter ausgedrückt ist die Liebe
für Platon so eine Art Aufzug,
mit dem man im ersten Stockwerk
die körperliche Liebe erreicht,
im zweiten die geistige,
im dritten die Kunst und dann,
je höher man kommt,
die Gerechtigkeit, die Wissenschaft
und die wahre Erkenntnis,
bis man schließlich in den Dachstock kommt,
wo das Gute wohnt.
(Luciano de Crescenzo, 1988)

Wunderbar zu verpacken wusste Platon seine Lehre von der Erotik in einem Werk mit einer stimmigen Analogie. Er beschreibt ein Symposium (=Trinkgelage, Gastmahl) berühmter Künstler und Denker zur Lebzeit von Sokrates. Platon arbeitet darin auf saubere Art die Urprinzipienkette der Aphrodite ab, beginnt doch die Erzählung mit der Begegnung (=Venus) zweier Philosophen. Der eine erzählt von dem Gastmahl (=Venus), währenddessen Lobreden auf Eros gehalten wurden, worüber er seinerseits von einem Dritten erfahren hat. In dem Bericht folgen dann sieben Reden über Eros.

Platon baut demnach mit den ersten dreien einen numinosen Hintergrund auf, denn er weiß die Zahl Drei als Ursprung allen Geschehens einzuordnen. Selbstverständlich muss er die Drei mit der Sieben ergänzen, um die Liebe der Verstofflichung zuzuführen. Er will sie von oben her, von ihrem Entstehungsort, bis auf die Erde durchgebracht wissen, von der erhabenen Höhe der Eins bis zur Zehn und von dort aus wieder zurück in den väterlichen Schoß der Eins.

Das Symposium als Analogie kunstvoller Erotik

Nach der Einleitung führt Platon den Leser zu dem denkwürdigen Tag des Gastmahls. Agathon, der berühmte Tragödiendichter, hatte anlässlich eines öffentlichen Erfolges mit einer seiner Tragödien dazu geladen. Als Gastgeber wählte Platon ihn sicherlich aus, weil der Name „Agathón“ im griechischen „das höchste Gute, das Schöne, das Vollkommene“ bedeutet — und genau jene übernatürliche Schönheit, die auf einer vollständigen Ausgewogenheit dualer Kräfte beruht, liegt Platon ein Leben lang am Herzen!

Aristodem, ein junger barfüßiger Philosoph, war jener Augenzeuge, der selbst bei dem Gelage dabei gewesen ist und später Apollodor davon berichtete. Von Aristodem heißt es, er sei am meisten von allen Schülern in Sokrates verliebt gewesen. Eines Tages traf er seinen Meister wie zufällig unterwegs und wunderte sich über ihn, denn dieser trug heute Sandalen und schritt mehr als sonst gepflegt einher. Da kamen sie in das Gespräch miteinander, und kaum hatte Sokrates dem Jüngeren von dem Gastmahl berichtet, lud er ihn auch schon ein mitzukommen. Später bei seiner Ankunft erfuhr Aristodem jedoch, dass er ohnehin Gast des Gelages hätte sein sollen, allein ihn erreichte die Einladung nicht.

In dieser Allegorie zeigt uns Platon die besondere Berufung eines großen Philosophen, der stets zu einem Erfüllungsgehilfen dessen wird, was im Menschen bereits keimhaft angelegt ist. So lag in der inneren Bestimmung, in der Einladung, die Voraussetzung für die äußere Begegnung mit Sokrates, denn:

Einem wahren Philosophen begegnet man niemals zufällig!

Kurz vor dem Haus des Gastgebers verschwand Sokrates plötzlich, Aristodem fand ihn nicht wieder und trat ohne seinen Lehrer ein. Agathon ließ ihn von seinen dienstbaren Knaben mehrmals aufsuchen, um ihm die Bitte zu überbringen, sich doch endlich bei dem Gelage einzufinden. Aber keine dieser Aufforderungen fanden bei dem Meister Gehör, er blieb zunächst draußen und kam erst herein, als die Hälfte des Speiseplans bereits hinter den Schmausenden lag.

Auch diese deutlich demonstrierte Schmähung dichter mitmenschlicher Wärme und vordergründiger Genüsse, wie sie ein gemeinsames Essen nun einmal mit sich bringt, kennzeichnet den Philosophen im Amt. Dieser weiß, erst wenn ein gutes Stück des Weltenhungers gestillt ist, macht es Sinn, ein Gespräch über den höheren Zweck des Lebens einzuleiten; wäre dies nicht gegeben, würden sich wohl mehr die Bäuche und nicht die Köpfe zu Wort melden. Astrologisch gesprochen beginnt die Lebensnahrung mit dem Zeichen der Waage geistreich zu werden, also erst, wenn der halbe Tierkreis schon bewältigt ist. Ähnlich verhält es sich auch mit Eros; sind die unteren Bedingungen erfüllt, wendet man sich umso lieber und erfolgreicher den Bereichen oberhalb der Gürtellinie zu. Deshalb wird der Gott Eros im Symposium sehr verschieden beschrieben, je nachdem von welcher Warte der Blick auf ihn fällt. Und darin offenbart Platon die natürlichen Entfaltungs-Stufen erfahrbarer Erotik, um hinzuführen in die gesamte Dimension der Liebe.

Wahre Philosophie erkennt man stets daran, dass ihre Kernaussagen heute wie zur Zeit ihrer Formulierung dieselbe Gültigkeit besitzen, da sie von der Innerlichkeit der Dinge, von reinen Prinzipien spricht und sich somit unabhängig macht von dem irisierenden Wandel äußeren Lebens.

1. Rede

Phaidros – das junge heiße Herz

Für Phaidros, den Jüngsten der Runde, muss Eros noch etwas Ursprüngliches, Wildes voller Leidenschaft besitzen. Darum bedient er sich auch der lunar geprägten Theogonie des Hesiod. Diesem Mythos zu Folge gehen aus dem Chaos (Uranos) die Weltenmutter Gaja und Eros hervor. An dieser Emanationsvariante erkennt man die diesseitsbezogene Gesinnung der ersten Eros-Lobpreisung im Gastmahl. Für einen jungen Heißsporn muss Eros natürlich höchste Göttlichkeit verkörpern, so sehr verehrt und genießt er die Freuden der Sinnlichkeit zwischen den Geschlechtern.

In jugendlicher Unbändigkeit, fast fanatisch, frönt er weiter einer Vorstellung, dass eine echte Liebe voll des Eifers sein solle und wenn es sein müsse, gehöre dazu die Bereitschaft, aus Liebe zu sterben. Ohne diese Konsequenz schmecken Liebe und Erotik für Phaidros schal, verdienen nicht den süßen Schmerz der Liebespfeile aus dem Köcher des Gottes.

Über einen „musizierenden Weichling“, wie er den feinsinnigen Orpheus respektlos nennt, empört er sich und behauptet, dieser hätte vor Liebe zu Eurydike besser auch sterben sollen, anstatt im Hades winselnder Bittsteller zu sein und einen Schatten zurück zu fordern. Mit Recht hätten ihn an seinem Ende die Frauen in Stücke gerissen, behauptet Phaidros in seinem Übermut und spielt damit auf die apollonischen Kulte der von Orpheus begründeten Orphik an, in der eine heilige Askese den solaren Gegenpol zu den lunaren Ausschweifungen der Dionysien bildet, am Ende jedoch – wie immer – die lunaren Kräfte den Sieg im Sinne des Irdischen davontragen, woraufhin sich das Solare einen neuen Wirkungskreis suchen muss.

Platon lässt Eros von Phaidros als höchste Glückseligkeit preisen, ohne ihm sogleich zu widersprechen, denn er weiß, ein gänzlich ungestümes Erosbild gehört nun mal an den jugendlichen Beginn erotischer Triebe.

2. Rede:

Pausanias – Männerfreundschaft als geistige Bereicherung

In die ersten sechs Zeichen des Tierkreises lässt sich „Eros Pandemos“ einsortieren, denn er verkörpert die Sinnlichkeit, in der zweiten Hälfte hingegen spricht man besser von „Eros Uranios“, da Eros hier zu einem großen Erfüllungsgehilfen des übergeordneten Strebens wird. Pausanias relativiert mit seiner Rede den vorangegangenen marsischen Aspekt und fügt eine solare Komponente hinzu. Der geistvolle Liebesrausch, Eros Uranios, ließe sich nicht festmachen an dem weiblichen Prinzip, meint Pausanias, denn letzteres gehöre aufgrund der erdwärts gerichteten Seinsform zu Eros Pandemos.

Denn sie lieben nicht Kinder,
sondern nur solche,
die schon anfangen, Geist zu hegen.
(Platon, Gastmahl, 181 B, Reclam)

Dieser Satz hat oft schon Anlass zum Ärger gegeben, denn er verletzt sehr den natürlichen Herdentrieb der Diesseitigkeit. In diesen Worten sollte man freilich weniger eine Absage an die Gattung der Kinder an sich sehen – können diese doch durchaus geistreicher als ihre Erzeuger sein – sondern ihn im Tierkreissinne erkennen. Der vorläufige Mensch als „unbewusstes Kind“ wohnt in den ersten sechs Tierkreiszeichen, da er dort stammesbezogen und somit abhängig von der Bestimmung durch andere bleibt. Wirklich bewusst vermag er erst zu werden, wenn er beginnt, sich selbst für alles zu verantworten, was er an Taten hervorbringt und was um ihn herum in der Welt geschieht. Erst dann wird allmählich aus dem unfertigen Menschen ein wahrer Mensch im Sinne des Freien Willens hervortreten.

Ähnlich verhält es sich mit der Knaben-Erotik, die Pausanias preist. Sich als Mann dem Männlichen zuzuwenden, bedeutet als Symbol, dem inneren Geist der Sonne nachzustreben und die Erden- wie Mondenwelt hinter sich zu lassen. Deutlich erkennbar wird dies in jenen Bruderschaften, in denen allein Männer das geistige Gedankengut der Älteren Brüder pflegen und bewahren. Platon will hier weniger von der Homosexualität sprechen als von einem zölibatären Aspekt des Eros. Er meint jenes übergeschlechtliche Bedürfnis, sich nicht mehr durch Vermehrung im Stoff zu verankern, in der Hoffnung, so dem Geist näher zu rücken.

Darin offenbart sich jene Spielart der Erotik, die das rein Instinktive ablehnt und an Stelle dessen das Inspirative, das Verfeinerte, begehrt. Aus diesem Aspekt des Eros rekrutiert der halb scherzhaft gemeinte Volksmund: Wahre Liebe gibt es nur unter Männern! — welcher augenzwinkernd nicht nur in homophilen Kreisen, sondern auch in sportlichen Männerfreundschaften leicht von den Lippen geht. Diese Tatsache hat schon viel Missmut in dem Lager der Frauen aufgewühlt und kostet den einzelnen Mann in den Armen seiner Frau immer wieder ein paar liebevolle Extras an Überzeugungskraft, um diese Worte zumindest in den Augenblicken enger Zweisamkeit als „weinselige Behauptung all der Anderen“ für sich selbst zu entkräften.

Pausanias sieht den Geist allein zwischen Männern aufleben; in der kinderzeugenden Gemeinschaft vermag er nur irdische Verwicklung zu erblicken und drängt die Frau in die Ecke des Kreatürlichen, wo der Geist nicht zu gewinnen ist. Erst Sokrates wird ihn später eines besseren belehren, denn das Herabziehende im Weiblichen gilt es nicht zu verallgemeinern.

3. Rede

Eryximachos – die Gegensätzlichkeit und ihre Versöhnung

Ein Arzt namens Eryximachos kommt an die Reihe, und man gewinnt den Eindruck, Erotik sei vor allem eine wirksame Medizin, was bekanntlich nicht erst seit Sigmund Freud so ganz von der Hand zu weisen ist. Eryximachos verpflichtet den Gott Eros in seiner Rede, die Gegensätze zu heilen: was zu bitter sei, müsse er süß machen, das Kalte zum Warmen bringen und Trockenes befeuchten. Der zweifache Eros soll ergänzend wirken, dann wird Liebe zur bestmöglichen Heilkunst.

Was der Arzt hier vorbringt, mutet in seiner Sterilität zwar zunächst etwas unromantisch und zu technisch an, entspricht aber bei genauerem Hinsehen dennoch einer praktischen Erfahrbarkeit. Schließlich beobachtet man immer wieder, wie Paare aneinander gesunden oder sich gegenseitig krank machen. Dahinter stehen widersprüchliche Eros-Charaktere, die sich zum Heil oder zum Unheil aneinander reiben, das heißt sich dualistisch ergänzen oder aufgrund ungleicher Ziele abstoßen. Wenn beispielsweise der eine Partner mit Venus und/oder Mars im ersten Quadranten seines Horoskops den leichten Frühlings-Eros des Phaidros liebt und am liebsten unkompliziert und fröhlich auf horizontalen Spielwiesen herumtobt, so kann dies dem anderen wie aufgezwungene Gymnastik erscheinen, da er vielleicht mit einer Venus im dritten Quadranten eine Erfahrung von schwarz-roter Todesnähe in der Erotik sucht. Befinden sich Venus und Mars im vierten Quadranten wird es sicher eher so sein, dass man mit einem himmelwärts gerichteten Blick und aneinandergelegten Händen (unser beider Seelen für immer und ewig!) einem Imaginations-Orgasmus entgegen schmachtet.

Sofern nun das Ansinnen des einen Partners ausgelebt wird und das des anderen unberücksichtigt bleibt, kommt es langfristig zu einem beiderseitigen Unwohlsein, da die Sexualität nicht in einen heilsamen Fluss, sondern in Stockung gerät. Die Forderung des Eryximachos läge hier im Gesunden durch das bewusste Hereinlassen des ganz Anderen, durch das Hinlauschen auf den Herzschlag und das Eindringen in das Wahrnehmungsland des Partners, wodurch das ausgleichende Fließen der Kräfte und Säfte von Wahrnehmungswelt zu Wahrnehmungswelt geschehen kann. Dieses erstrebenswerte Mysterium gestaltet sich sehr schwer und ist ohne Therapie praktisch kaum zu erlangen, es bedarf nämlich großer Bewusstheit, wenn eine vorübergehende Aufgabe der eigenen Abgrenzungsmechanismen erfolgen soll. Eine erfolgreiche Bewältigung dessen macht jedoch den Segen gelebter Schattenintegration durch Erotik aus. Mit der Bereitschaft dazu findet der Suchende ganz nebenbei eines der unaussprechlichen Geheimnisse Platonischer Liebe, das bereits sanft die prachtvollen Tempel der Magie berührt.

4. Rede:

Aristophanes – Eros als Erlöser aus der Halbheit

Danach folgt die Rede des Aristophanes, der als Komödiendichter in die Geschichte einging. Als musisch Hochbegabter wundert es wenig, wenn er seine Huldigung an Eros in sehr anschaulichen Gleichnissen darbringt. Er beschreibt auf metaphorischer Ebene jenes Ur-Drama, in dem der einst androgyne Adam das Leid der Aufspaltung in Mann und Frau erfährt und wegen dieser Zweigeschlechtlichkeit fortwährend des Eros bedarf, um sich mit dessen Hilfe an den Urzustand erinnern zu können. Dieser Text ist so schön, dass ein Ausschnitt davon hier im Original wiedergegeben wird.

Zuerst müsst ihr die menschliche Natur erkennen und ihre Leiden. Früher war nämlich unsere Natur nicht dieselbe wie jetzt, sondern anderer Art. Anfangs gab es bei den Menschen drei Geschlechter, nicht wie jetzt zwei, männlich und weiblich, sondern es gab dazu ein drittes, welches diese beiden vereinte. Sein Name ist noch übrig, es selbst verschwunden. „Mannweiblich“ war damals das Eine, Gestalt und Namen aus beidem: Männlich und Weiblich zusammengesetzt – jetzt aber ist der Name in das Schimpfliche gewendet. Damals war die ganze Gestalt jedes Menschen rund, so dass Rücken und Flanken im Kreis standen, er hatte vier Hände und ebenso viele Beine und zwei Gesichter auf kreisrundem Nacken, ganz gleiche. Und zu den zwei gegenübergestellten Gesichtern nur einen Kopf und vier Ohren und zwei Schamteile und alles andere, wie man es sich hiernach vorstellen kann. Er ging auch aufrecht wie jetzt, wohin er wollte. Wenn er aber schnell laufen wollte, so bewegte er sich, so wie die Radschlagenden die Beine nach oben herumwerfend einen Kreis beschreiben, von seinen acht Gliedmaßen getragen schnell im Kreise davon. Die Zahl und Beschaffenheit dieser drei Geschlechter kam daher, dass das Männliche ursprünglich von der Sonne stammte, das Weibliche von der Erde, das Gemischte vom Monde, weil ja der Mond an beidem teilhat. Rund waren sie selbst und ihr Lauf, weil sie ihren Eltern ähnlich waren. Sie waren nun gewaltig an Kraft und Stärke und waren großen Sinnes, ja, sie legten Hand an die Götter, und was Homer von Ephialts und Otos sagt, bezieht sich auf jene, dass sie es unternahmen, den Himmel zu ersteigen, um die Götter anzugreifen.

Da ratschlagten Zeus und die anderen Götter, was sie tun sollten, und gerieten in Verlegenheit, denn es war nicht möglich, sie zu töten und wie die Giganten mit dem Donner zu erschlagen und ihr Geschlecht zu vertilgen – dann wären ihnen selbst ja auch die Ehren und Heiligtümer bei den Menschen vertilgt worden – aber sie konnten auch nicht den Frevel hingehen lassen. Endlich hatte Zeus etwas ersonnen, und er sagte: Ich glaube ein Mittel zu haben, wie die Menschen bestehen und doch von ihrem Übermut ablassen, indem sie schwächer werden. Jetzt durchschneide ich sie nämlich, jeden in zwei Teile, und so wie sie schwächer werden, werden sie uns auch nützlicher sein, weil sie ja an Zahl mehr geworden sind, und sie mögen aufrecht auf zwei Beinen gehen…
(Platon, Gastmahl 14, 15 – 189 B- 191 B, Reclam)

Weiter wird beschrieben, wie Apollon den halben Menschen das Gesicht nach vorne zur Schnittstelle drehte und diese mit Haut überzog, die am Nabel abgebunden wurde. Doch wegen der Teilung entstand großes Leid, die Menschen vernachlässigten ihre Pflichten, da sie sich ständig umschlungen hielten. Und dann erbarmte sich Zeus, drehte ihre Geschlechtsteile nach vorn in die Mitte und ließ sie lustvoll ineinander befruchten. Nun war es die Aufgabe des Eros, eine zeitweilige Sättigung herbeizuführen. Welche beiden Einzelteile sich jetzt auch zusammentaten, danach waren die Menschen befriedigt und eine Zeitlang in der Lage, gelassen ihren Erdendienst zu verrichten. Die Sehnsucht nach einer endgültigen, dauerhaften Verschmelzung mit der anderen Hälfte verging jedoch bis zum heutigen Tage nicht, sagt Aristophanes in seiner Lobpreisung, doch kommt sie von den Göttern her, denn diese sind es eigentlich, die das Ganzsein wiedergeben können, wenn man ihnen in gebührender Weise huldigt.

Seine Kernaussage gipfelt in dem nachfolgend zitierten Aufruf, welcher der recht humorvollen Befürchtung folgt, die Götter könnten aus Unzufriedenheit mit menschlichen Taten die bereits Gespaltenen noch einmal zerteilen, worauf man dann wie ein Grabrelief herumlaufen müsse — mit durchgesägter Nase!

Aus diesem Grunde muss jeder jeden ermuntern,
die Götter zu ehren, damit wir diesem entgehen,
jenes erlangen, wozu Eros uns Führer und Feldherr ist.
Ihm soll niemand zuwiderhandeln.
Es handelt aber zuwider,
wer sich die Götter zu Feinden macht.
Denn wenn wir dem Gotte freund und vertraut sind,
werden wir den zu uns gehörigen Liebling
ausfindig machen und gewinnen,
was heute nur wenigen gelingt.
(Platon: Gastmahl 16, 192 E)

Jener begehrte Liebling, von dem hier die Rede ist, findet sich nicht nur in vorübergehenden Projektionsflächen während der Zeit des Verliebtseins wieder. Er soll die liebende Hand reichen für einen Weg weit über die Grenzen des Irdischen hinaus. Darin liegt wahrhaftig eine der Vorstellungen Platons, welche hoch greifende Dimension die Liebe annehmen kann. Wer hier versteht, das vordergründige Wollen beiseite zu lassen, berührt die Phänomene kultischer Verbundenheit, die sich über das Zeitliche hinweg erhalten. Basierend auf dieser Idee bestehen manche sektiererische Bewegungen auf einer Eheschließung untereinander, wo die Paare sogar bisweilen von der Führungs-Person zusammengeführt werden. Was hier zu einer bösen Karikatur entartet ist, besitzt ein Fünkchen platonischer Wahrheit. Anima und Animus werden letztendlich im eigenen Wesen gefunden, sind also reine Inwendigkeit, und doch ist es ungeheuer beglückend, einer Person im Außen zu begegnen, die in vielen Bereichen dieser inneren Qualität entspricht.

Die genauere Bobachtung zeigt, dass eine dementsprechende Eros-Erfüllung unter religiösen und spirituellen Menschen häufiger anzutreffen ist als unter Atheisten und Nihilisten. Am Faden kultischer Anbindung, von kosmischen Kräften durchtränkt, erkennen sich wahre Weggefährten besser; und sie finden zu einer großen Harmonie, da sie im Gleichschritt auf ihr gemeinsames Lebensziel zugehen: nach Hause in die Mysterien!

Sobald nämlich keine andere Sehnsucht mehr existiert, als es in allen Belangen des Daseins dem Himmel recht zu machen, besteht auch keine Gefahr der Empörung mehr gegen ihn. Dann müssen die kosmischen Mächte nicht mehr dafür sorgen, dass der Mensch „alle Hände voll zu tun hat, seine schwierige Partnerschaft zu bewältigen“, was ihn Tag für Tag ausreichend beschäftigen kann. Partnerschaft im Sinne des Aristophanes wird einfach und schön, die beiden Hälften verbünden sich in dem gemeinsamen Streben nach göttlicher Union. Die Urprinzipien-Repräsentanten von Sonne und Mond, wie sie im Menschen lebendig sind, finden auch außen auf glückselige Weise zueinander, wie in einem schönen Mysterienspiel. Von dieser kultischen Form der Liebe sprach auch Apuleius, als er der Nachwelt das Märchen „Amor und Psyche“ hinterließ. Bereichert um den Weg der Läuterung verbinden sich die eingeweihten Seelenanteile auf einer erhabenen Bewusstseinsebene im Aufstieg zu dem Stern des Schönen wieder zu jenem androgynen Ideal, das sie bei ihrer Schöpfung bereits waren.

Ein Paar, das mit solchen Bildern lebt, liebt auf vielen Ebenen platonisch und erahnt obendrein, warum Gott die Welt erschaffen hat: Es verlangt Ihn offenbar danach, den eigenen Zustand des All-Eins-Seins, das andauernde Glück freudiger Harmonie auch für andere Wesen erlebbar zu machen.

Aristophanes krönt in seiner Rede den Kultischen Eros, er bezieht den Geist des Alls mit ein und spricht mit anderen Worten aus, was die Hohe Magie in ihrer Tiefe weiß: Verlange nach dem Höchsten und das Kleine wird dir gegeben!

5. Rede:

Agathon – die sieben Tugenden des Eros: Schönheit, Jugendlichkeit, Zartheit, Gerechtigkeit, Besonnenheit, Mut und Weisheit

Agathon, der Gastgeber, hält eine Jubelrede auf die Tugenden des Gottes Eros und erfüllt die ganze Runde mit salbungsvoller Feierlichkeit. Er stellt statt der Gaben des Eros die besten Eigenschaften des Gottes in den Vordergrund seiner Laudatio. Mit Phaidros erklärt er sich zwar in vieler Hinsicht verbunden, jedoch ist Agathon nicht der Meinung, Eros sei von Anfang an als Gott da gewesen. Niemals hätten Entmannung des Uranos, Einkerkerung des Kronos und all die anderen Gewalttaten im Reich der Götter geschehen können, hätte es Eros schon gegeben. Der Allerjüngste ist er in den Augen Agathons, auf dem Schöpfungsplan erschienen, um die Ungerechtigkeit zu besiegen. Da er jung ist, muss er auch zart sein und voller Schönheit. In seiner Jugend und Romantik liegt auch seine Vorliebe für junge und schöne Menschen, denen er sich von seiner liebenswertesten Seite zeigt.

Nur Eros selbst besitzt Besonnenheit, meint Agathon, denn er treibt diese aus jeder Brust, wann immer er es nur will. Eros herrscht über alle Lust und alle Begierden mit großem Mut, sogar der Kriegsgott Ares hält ihm nicht stand. Sobald Ares, der Mutigste von allen, Aphrodite begehrt, vergeht seine Tapferkeit, er vergisst die Kriege und versinkt im heißen Liebesrausch auf dem Lager weicher Lust.

Agathon preist schließlich auch die Weisheit des Gottes, da er sogar den Nüchternsten beflügeln und ihn zu einem Poeten machen kann. Alle Künstler unter den Göttern und den Menschen nehmen Maß an der himmlischen Freude des jungen Gottes. Und voller Inbrunst dichtet Agathon einen Hymnos an Eros.

Frieden unter Menschen,
dem Meere heitere Glätte,
Ruhe von Winden, den Stürmen ein Lagern
und sorglosen Schlummer

Und uns entledigt er der Fremdheit und füllt uns mit Vertrautheit, anordnend alle solche Einungen unter uns, bei Festen, bei Tänzern, bei Opferfeiern die Führung übernehmend, Mildheit gewährend, doch Wildheit zerstörend, verschwenderisch mit Wohlwollen, kargend mit Übelwollen, huldvoll den Guten, geschaut von Weisen, geliebt von Göttern, geneidet von Dürftigen, gewonnen von Glücklichen, der Fülle, der Feinheit, der Wonne, der Anmut, des Reizes, der Sehnsucht Vater, sorgend um Gute, sorglos um Schlechte, in Plagen und Zagen, in Sehnen und Sinnen der beste Lenkende und Leitende, Helfende und Heilende, aller Götter und Menschen Zier, schönster und bester Führer, dem jeglicher Mann folgen muß, schön lobsingend in den schönsten Hymnos einstimmend, den singend er bezaubert aller Götter und Menschen Sinn. Diese Rede, o Phaidros, sei von mir dem Gotte dargebracht, sie enthält an Spiel und an schicklichem Ernst soviel in meiner Kraft steht.
(Platon, Gastmahl, Reclam 197 C)

Alle Anwesenden jubeln Agathon zu, als er diese herrlichen Worte beendet hat. Ein jeder würde sich wohl wünschen, dass Eros ihm wie in Agathons Rede begegne — vielleicht gerade deshalb, weil jeder tief in seinem Herzen ahnt, dass man für sich selbst schon in der Nähe von dem Stern des Schönen angekommen sein muss, um Eros in einer solchen Vollkommenheit erleben zu dürfen. Doch bleibt ein Zweifel, und erst in der Rede von Sokrates erhalten die Zuhörer den Schlüssel, wie sie den niederen Eros Pandemos selbst in den Eros Uranios umzukehren vermögen.

6. Rede:

Sokrates und Diotima – das Heilen des armen Eros

Die Liebe ist ein den Menschen von den Göttern geschenkter heilsamer Wahnsinn,
damit sie die Wahrheit und die verlorene Unsterblichkeit der Seele wiederfinden.
Platon: Phaidon

Die Rede des Sokrates folgt an sechster Stelle, und nachdem der Gott Eros reichlich mit Ehren geziert wurde, reißt Sokrates das Ruder vollständig herum und erklärt Eros kurzerhand zu einem unschönen Daimon. Sokrates erzählt bei dem Gastmahl von einer wunderbaren Priesterin namens Diotima, der er in seiner Jugend hat begegnen dürfen. Hier vollzieht Sokrates bereits das Besondere: Er bringt die Frau in die eingeschworene Männerrunde, aber nicht irgendeine Frau, sondern die erhabene, geläuterte, weise Frau, die ihn, den Philosophen, einst in der feineren Kunst des Eros unterwies. Von Diotima stammt die Legende eines unbekannten Geburtsmythos‘ für Eros: Auf dem Fest der Geburt der Göttin Aphrodite sind einst auch Armut (=Penia) und Reichtum (=Poros) eingeladen gewesen. Zu vorgerückter Stunde verführte Penia den weinseligen Poros, um durch ein Kind von ihm ihre ärmliche Situation zu verbessern.

Dieses Kind sei Eros, sagt Sokrates, und Eros sei arm, heimatlos und bedürfe des Schönen, da er selbst nicht schön sei. Er bedürfe der Liebe, weil er selbst nicht lieben könne. Eros würde stets auf dem Boden lagern, vor Türen und auf Straßen im Freien schlafen, da er die Natur der Armut mütterlicherseits geerbt habe. Von seinem Vater, dem Reichtum, jedoch bekam er die Fähigkeit zur Hinterlist, darum könne er bösartige Ränke schmieden und stelle stets nur deshalb dem Guten nach, weil er dies selbst nicht sei.

Das sind harte Worte für jene, die Eros vergöttern. Vor allem Phaidros reagiert nicht gerade erfreut, hatte er in der Rede Agathons doch gerade viel von seiner eigenen Begeisterung vernommen.

Hätte ein anderer nach all den Lobreden nun diese Widerrede gehalten, eine allgemeine Entrüstung wäre sicherlich erfolgt. Sokrates hingegen, dem Ältesten und Weisesten dieser Versammlung, ist es erlaubt, die Dinge neu zu sortieren und den Blick von oben auf Eros zu wagen. Sokrates macht dem gespannten Auditorium bewusst, dass ein Gott nicht nach Weisheit sucht, denn er ist es bereits; der Starke begehrt nicht vor allem anderen die Stärke; der Gesunde trachtet nicht in erster Linie nach Gesundheit. Da Eros aber seine Liebespfeile verteilt, um Liebe zu stiften, kann er nur bar der Liebe sein und will gleich einem Schmarotzer an der Liebe der anderen teilhaben.

Die Zuhörer sind bestürzt, aber Sokrates bringt die Priesterin Diotima stets wieder auf den Plan und betont, sie habe ihn seinerzeit beeindruckt, als sie ihre Rede über Eros hielt. Damals hatte Sokrates über Eros wie Agathon gedacht, Eros vergöttert, aber die Priesterin vermochte seine Gedanken mit den Argumenten zu widerlegen, Eros sei nicht schön und doch – so Diotima – sei er auch nicht wirklich hässlich, er läge eben genau in der Mitte beider Extreme und ebendies sei das Beste an Eros. Und in dieser Hinsicht sei Eros den Menschen sehr, sehr dienlich; er verknüpfe und vermähle das Gegensätzliche miteinander.

Sokrates gibt die Rede Diotimas mit eigenen Worten wieder. Das wichtigste Geschenk der Götter sind die Zeugungsorgane – so Diotima -, denn mit ihnen dringt die schöpferische Gotteskraft bis zu den Menschen vor, mehr noch als durch den Odem. Damit widerspricht Diotima, die Frau, der Vorstellung des Pausanias, der glaubt nur in der sterilen Männerliebe könne der Geist des Himmels anwesend sein. Wie auf einem zarten Instrument lässt Diotima alle Oktaven im Tempel der zweigeschlechtlichen Liebe erklingen, in einer vollendeten Schönheit und Weisheit, wie sie die Homosexualität niemals zu erreichen vermag.

Diotima spricht von der Schönheit des Körperlichen, von dem ergänzenden Genuss von Geschlecht zu Geschlecht, sie führt von der Sinneslust zu dem Wissen, dass äußere Schönheit als Spiegel der Seele geschaut wird. Weiß man nun, wie die Schönheit jeder Seele innewohnt, dann wandelt sich die Verehrung des Körpers in jene der Seele, und es wird möglich, in der philosophischen Erkenntnis ebenfalls das Schöne zu erblicken. Daraufhin sehnt man sich, das weite Meer des Schönen in den philosophischen Gedanken zu erkunden. Wer bis hier dem Gebot des Eros folgt – so das Versprechen Diotimas – wird einmal die Schönheit der Unsterblichkeit erschauen und nimmermehr davon ablassen können, Allumfassendes zu begehren. Er wird überall und nirgendwo mehr sein wollen, ob auf Erden, ob im Himmel, hüben und drüben, nur noch eins sein mit dem All.

Ein mit sich selbst
für sich selbst
ein ewig eingestaltiges Sein
(Platon, Gastmahl 210 D)

So zu sein, darin liegt alle Glückseligkeit der Welt. Es obliegt nun dem Menschen, die wahre Liebe zu finden, welche von der Erde bis in das Himmlische hinein reicht. Diese Liebe muss Agape sein, darf nicht mehr aussortierend, wertend geprägt sein, darin liegt der Gipfel der Platonischen Liebe, und es wird darin gleichsam der Mensch der Erlöser des unschönen Eros, indem er ihm zunächst in die irdischen Belange folgt, ihn dort wie Phaidros lieben und achten lernt und ihn schließlich ganz und gar zum Schönen, Wahren und Guten des Alls empor trägt.

Denn dies heißt richtig zum Erotischen gehen oder geführt werden, daß man von diesen schönen Dingen beginnend (von der sinnlichen Liebe) jenes Schönen wegen immer hinaufsteige, gleichsam auf Stufen steigend, von einem zu zweien und von zweien zu allen schönen Leibern zur schönen Lebensführung und von der Lebensführung zu den schönen Erkenntnissen, bis man von den Erkenntnissen endlich zu jener Erkenntnis gelangt, welche die Erkenntnis von nichts anderem als jenem Schönen selbst ist und man am Ende jenes Selbst, welches schön ist, erkenne.
(Platon, Gastmahl, Reclam 210 D)

Nur wo angestrebt wird, das Schöne in der oben angeregten Weise selbst zu erschauen, wird das Leben lebenswert – so lautete einst die Botschaft von Diotima an den jungen Sokrates, und in diesem Gedanken ruht die tiefe Botschaft platonischer Liebe: Echte Weisheit kann weder übertragen noch kopiert oder gestohlen werden, man muss sie selbst erschaudernd erfahren. Und es ist kein anderer als Eros, der das Gemüt für solche Erfahrungen öffnet.

In dem folgenden Zitat von Novalis zieht die platonische Liebe ganz und gar in ein Paar ein, und bestimmt hätten Diotima und Sokrates ihre Freude daran gehabt:

Ein wilder Mandelstrauch hing mit Früchten beladen in die Höhle hinein, und ein nahes Rieseln ließ sie frisches Wasser zur Stillung ihres Durstes finden. Die Laute hatte der Jüngling mitgenommen, und sie gewährte ihnen jetzt eine aufheiternde und beruhigende Unterhaltung bei knisterndem Feuer. Eine höhere Macht schien den Knoten schneller lösen zu wollen und brachte sie unter sonderbaren Umständen in diese romantische Lage.
Die Unschuld ihrer Herzen, die zauberhafte Stimmung ihrer Gemüter, die verbundene unwiderstehliche Macht ihrer süßen Leidenschaft und ihrer Jugend ließen sie bald die Welt und ihre Verhältnisse vergessen und wiegten sie unter dem Brautgesang des Sturmes und den Hochzeitsfackeln des Blitzes in den süßesten Rausch ein, der je ein sterbliches Paar beseligt haben mag. Der Anbruch des lichten blauen Morgens war für sie das Erwachen in einer neuen seligen Welt.
(Novalis, Heinrich von Ofterdingen, 1798)

7. Rede

Alkibiades – trunken von der Weisheit des Sokrates

Jene wunderbar beglückende Mysterienfeier, welche Diotima noch weit über den Schwingen des Eros einst für Sokrates zelebriert hatte, bedarf nun keiner höheren Ergänzung mehr. Darum folgt eine Abwandlung des griechischen Satyrspiels zum Schluss der Lobreden. Der angetrunkene Alkibiades bricht von außen in die Runde ein und bringt zunächst die Eifersucht in den Raum, denn er unterstellt Sokrates ein Liebeswerben um Agathon, erhebt jedoch seinerseits ältere Rechte auf Sokrates und wirbt selber deutlich um Agathon. Es entspinnt sich ein Dialog, wie er zur vorgerückten Stunde unter Weingeist nicht anders sein kann.

Platon will damit zeigen, wie erhaben die Vorstellungen bezüglich der Liebe auch sein mögen, Eros verbündet sich dennoch gerne mit dem irdischen Lebensfluss und bringt die Dinge der Erde wieder durcheinander – wohl damit man nicht hier schon glückselig werden solle und immer weiter dem Himmel nachstrebe!

Alkibiades lobt statt Eros Sokrates, schwärmt von dessen Charaktergröße und Sittlichkeit, um schließlich mit der Behauptung zu enden, Sokrates stelle sich gerne als der Liebende dar, wird aber dann doch immer der Geliebte -so sehr geriete jeder in den Bann seiner übernatürlichen Weisheit.

Wen wundert es, dass am Ende chaotische Nachtschwärmer in das Symposium eindringen. Die Becher werden noch einmal hochgehalten, und einige machen sich danach auf den Heimweg, andere schlafen an Ort und Stelle ein. Jedoch Sokrates, der im Geist des Alls Erwachte, bedarf des Schlafes nicht, er schreitet erhabenen Hauptes in das Lykeion, nimmt dort genüsslich ein Bad und begibt sich danach in ausgeglichener Ruhe an sein Tagwerk.

 

Gabriele Quinque

 

Gabriele Quinque
 

Auf der Grundlage langjähriger Erfahrungen in Initiatenorden gründete sie im Jahr 2000 gemeinsam mit anderen Gefährten den FMG-Förderkreis für Mythologisches Gedankengut, der sich die Aufgabe stellt, tradierte Mythen zu bewahren und die Weisheit der Älteren Brüder im dazugehörigen Templum C.R.C. durch ein Einweihungssystem in der Tradition der Gold- und Rosenkreuzer lebendig zu halten. Mit allen Aktivitäten äußert sie das Anliegen, in jedem Mann und in jeder Frau eine geistige und religiöse Orientierung zu fördern.

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